Wir Rüben aus der großen Stadt

Wir Rüben aus der großen Stadt, Verena Friederike Hasel

Alle Welt redet von Integration und Toleranz – in dieser Geschichte aber wird nicht groß darüber geredet, hier wird die bunte Gemeinschaft einfach gelebt. Wie lustig, turbulent und auch emotional das Leben in einer modernen Großstadt-Hausgemeinschaft sein kann, erzählt uns die achtjährige Flora auf äußerst amüsante, unterhaltsame und oft auch sehr anrührende Weise.

Kurzrezension

Flora ist ein Rübenkind. Rüben, so nennen sich die Bewohner der bunten Hausgemeinschaft aus der Rübezahlstraße 8. Dieser bunt zusammengewürfelte moderne Clan besteht aus sechs Kindern und sechs Erwachsenen. Sie teilen nicht nur das Haus miteinander, sondern auch Verantwortung, Pflichten, Fahrzeuge, Schulwege, diverse Zimmer und vor allem jede Menge Spaß.

Die Erzählung hat eigentlich keinen Anfang und kein Ende, es ist vielmehr ein spontaner episodenhafter Einblick in das Leben dieser sympathischen Großfamilie, die eigentlich aus vier EInzelfamilien besteht. Darunter befinden sich zwei Alleinerziehende. Viele denkbare Familienmodelle werden abgedeckt, man erhält Einblick in verschiedenste Lebenshaltungen und Berufe und ganz nebenbei erleben wir, wie unkompliziert Integration gelebt werden kann.

Das Buch beginnt mit einer lustigen und kurzweiligen Vorstellungsrunde, in der nicht nur Alter, Aussehen und Beruf verraten, sondern vor allem die sympathischen Eigenarten der einzelnen Familienmitglieder aufs Korn genommen werden. Eine unserer Lieblingsstellen daraus findet sich bei der Vorstellung von Burkhard, dem Architekten (Seite 19): „Als ich mal ein Vogelhäuschen haben wollte, hat sich Papa eine Dreiviertelstunde lang You-Tube-Videos angeguckt und es trotzdem nicht hingekriegt. Burk hat mir in zehn Minuten eins gebaut. Das hat Papa ein bisschen geärgert, glaube ich.“

Mit solchen Einblicken gewappnet wirft uns Flora auch schon in die erste Geschichte: Die Sache mit dem Januar. Der Januar ist mies und fies und trübe. Alle Festtage sind vorbei und das Wetter macht keinen Spaß. Floras kleiner Bruder Kaspar hat schlechte Laune, weil der Weihnachtsmann erst in einem Jahr wiederkommt, Ari hat miese Laune, weil die Weihnachtsschokolade seine Neurodermitis verschlimmert hat. Papa hat schlechte Laune, weil Mama sein tolles gekochtes Essen ausfallen lässt, weil sie als Hebamme wie so oft spontan zu einer Schwangeren muss. Und Flora selbst ist beleidigt, dass ihre beste Freundin Emilia ein paar Tage zu ihrer Mutter fährt, wo sie eine andere beste Freundin hat.

Doch dann hat Flora die Idee, einfach ein Fest zu erfinden. Klar, dass alle Rüben mit Begeisterung dabei sind und mithelfen. Denn so ein Fest ganz ohne Grund ist einfach ein Riesenspaß.

In den folgenden Geschichten lernen wir die organisatorischen Glanzleistungen der Hausbewohner kennen. Zum Beispiel zeigt uns Papa Matthis, wie man fünf Kinder mehr oder weniger pünktlich zur Schule und zum Kindergarten bringt. Weil das doch regelmäßig trotz fünf Weckern zu Komplikationen und Verspätungen führt, beschließt die Familie, dass es Zeit ist, die Schulrüben alleine durch den mordsgefährlichen Großstadtverkehr zur Schule gehen zu lassen. Die eigentlich beherrschten Regeln hierzu müssen aber dann doch schon am zweiten Tag wieder außer Kraft gesetzt werden, um eine angefahrene Katze zu retten. Manche Dinge sind eben wichtiger.

Kurz darauf nimmt Flora uns mit in ihre Schulklasse und lässt uns an einem kreativen Bastelprojekt teilhaben: Mode aus Müll. Dass es Kinder oft nicht leicht haben, mit den Nebenwirkungen der elterlichen Berufe klarzukommen, zeigt Flora uns sehr authentisch und nachvollziehbar in der folgenden Geschichte: Alle anderen Mamas schauen ihren Kindern nämlich bei der Modenschau aus Müll zu. Flora aber hat, quasi als Ersatz, eine der anderen Mamas aus der Rüben-WG dabei, und kämpft mit ihren so oft unterdrückten Gefühlen.

Nachdem Floras Mama sie dann ein weiteres Mal wegen einer Gebährenden im Stich lassen muss, ist Flora so wütend, dass dringender Handlungsbedarf besteht. So überlegt sich Floras Mama, ihrer Tochter einmal einen Einblick in ihre Arbeit zu geben. Jetzt kann Flora besser verstehen und leichter akzeptieren, dass Mamas Beruf eine Berufung ist, und Babys nun einmal nicht warten können.

Der Ausblick ist dann wieder ein grundpositiver: Flora freut sich auf den zu erwartenden Familienzuwachs in der Hausgemeinschaft und schließt in ihrer Klasse eine neue Freundschaft, sodass sie nicht mehr eifersüchtig auf Emilias zweite beste Freundin sein muss.

Mit ihrer Sprache treffen die Autorin und ihre achtjährige Protagonistin den Nerv der Zeit. Hier und da werden die Szenen und Figuren sehr gelungen durch ausdrucksstarke und lustige Zeichnungen ergänzt. Dieses sympathische und rasant geschriebene Buch schreit nach einer Forsetzung, die in den letzten Zeilen auch schon quasi angekündigt wird: Wird Ari seinen Vater finden? Und welchen Trubel bringt das neue Rübenbaby ins Haus? Wir sind gespannt und sprechen eine dicke Empfehlung aus:

„Wir Rüben aus der großen Stadt“ ist ein amüsantes und gleichzeitig auch nachdenklich stimmendes Büchlein über Werte und Gemeinschaftsgefühl und das sich schon lange im Wandel befindende Bild von Familie. Es ist durchaus auch schon zum Vorlesen geeignet für Erstklässler und bietet als kurzweilige und leicht zu lesende Geschichte für alle Grundschulkinder ein grandioses Lesevergnügen.

 

Altersempfehlung: 7-9 Jahre
Lesezeit/Volumen: 117 Seiten

Daten zum Buch „Wir Rüben aus der großen Stadt“

Titel: Wir Rüben aus der großen Stadt
Autor: Verena Friederike Hasel
Verlag: Peter Hammel
Jahr/Auflage: 2018

ISBN: 978-3779506010

Wir Rüben aus der großen Stadt

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10Ein sympathisches Mädchen steht vor einer Reihe von mehrstöckigen Häusern und strahlt uns keck an. Das gebundene Büchlein ist hochwertig gearbeitet und mit treffenden szenischen Zeichnungen gespickt.
Text/Sprache10Die rasant geschriebene Geschichte macht Laune durch die authentische Sprache. Der Text ist für geübte Leser ab Klasse 2 geeignet sowie zum Vorlesen.
Inhalt10Flora wohnt mit ihrer Familie sowie drei weiteren Familien in einem mehrstöckigen Haus in einer Großstadt. Sie nimmt uns als Ich-Erzähler mit in ihren Alltag. In lustigen Episoden lernen wir die Bewohner der Rübezahlstraße 8 kennen.
Pädagogische Themen10Familie
Freundschaft
Solidarität
Integration
Eifersucht
Liebe
Gemeinschaft
Hilfsbereitschaft
Alleinerziehende
Trennungskinder
Pädagogischer Wert10Diese vier zu einer Gemeinschaft verschmolzenen Familien leben authentisch und sympathisch miteinander, immer in dem Bemühen, die Bedürfnisse ihres Gegenübers wahrzunehmen und seine Gefühle zu berücksichtigen. Eine heile Welt, selbst wenn oder gerade dann, wenn etwas gerade nicht ganz so heil ist.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10