Oma Kuckuck

Oma Kuckuck, Frauke Angel, Stephanie Brittnacher

Demenz ist eine ganz verrückte Sache. Sie ist nicht vorhersehbar, vollkommen unberechenbar, oft sonderbar und auf verrückte Weise manchmal auch wunderbar. Wenn ein nahestehender Mensch an Demenz erkrankt ist, dann muss man anfangen, das Unvorhersehbare einzuplanen und das Unvermeidbare anzunehmen. Wie man sich dabei als Enkelkind fühlen mag, das beschreibt eindrucksvoll und liebevoll dieses Bilderbuch.

Kurzrezension

Ein Mädchen beschreibt ihre Oma. Sie heißt Oma Kuckuck, weil sie eine Kuckucksuhr hat – und weil sie irgendwie auch „einen Vogel hat“. Das Mädchen beschreibt seine Zeit mit Oma so, wie man sie sich für ein Kind wünscht: Alles ist etwas anders, als zu Hause, aber schön anders. Es gibt viel mehr Süßes – in diesem Falle besteht das Mittagessen ganz aus Süßem, denn es gibt immer Vanillesuppe mit Himbeeren. Omas Herd ist so alt, dass seine Knöpfe quietschen, und Oma kocht nicht nach Rezept, sondern nach Gefühl. Wer so eine Oma nicht hatte, wünscht sie sich nachträglich beim Vorlesen.

Für das Enkelkind ist es bei Oma Kuckuck immer schon so gewesen: Ein bisschen schräg, aber eben schön schräg. Oma Kuckuck mag weder Rezepte, noch Spielregeln. Dafür mag sie Geschichten und „schräge Vögel“.

Bis hierhin erscheint die Erzählung dem Leser nicht weiter ungewöhnlich, denn so soll eine Oma schließlich sein: Anders kochen, Gesellschaftsspiele spielen, ohne auf die Regeln zu pochen, und natürlich soll sie Geschichten erzählen von früher. Da ist es auch nicht schlimm, wenn sich die Geschichten schonmal wiederholen.

Jeden Sonntag ist die Enkeltochter bei Oma Kuckuck und jeden Sonntag um fünf holt Mama sie dort wieder ab. Und wenn Mama kommt, dann wird klar, wo das Problem liegt: Oma Kuckuck war eben nicht immer schon Oma Kuckuck. Früher hieß sie noch Trudchen. Und nicht nur ihr Name hat sich geändert. Oma vergisst jetzt manchmal, den Herd auszumachen, so wie heute. Und sie hält Mama für eine Fremde und reagiert wütend – wahrscheinlich weil sie selbst merkt, das etwas nicht stimmt.

Das Enkelkind, das hier den Sonntag bei Oma beschreibt, erkennt Mamas Sorge und Kummer. Mama weiß, dass sie nun eine Entscheidung für Oma Kuckuck fällen muss, die sie nie fällen wollte und wohl schon eine Weile vor sich herschiebt: Oma Kukuck muss in ein Heim, denn sie kann nicht mehr gefahrlos alleine leben. Oma ist verzweifelt und Mama genauso.

Das Enkelkind aber hat eine Idde, wie sie der Oma den Umzug schmackhaft machen kann. Hatte Oma sich nicht immer einen Hund gewünscht? Im neuen Zuhause von Oma gibt es einen Betreuungshund. Diese „Wahrheit“ verpackt das Enkelkind so einfühlsam und toll in eine Geschichte, dass nicht nur die Oma bereitwillig umzieht, sondern vor allem dem erwachsenen Vorleser ganz warm ums Herz wird.

 

Die Geschichte von Oma Kuckuck wird zwischen den Zeilen erzählt und lebt von den kleinen Anzeichen und sanften Hinweisen – gerade so, wie auch die Demenz sich langsam, fast heimlich in die Familie schleicht, erst überlesen werden könnte, dann aber immer mehr und mehr ans Tageslicht tritt, bis man eine Entscheidung eben nicht mehr vor sich herschieben kann.

Beim Lesen der Geschichte werden die unterschiedlichen Gefühle transportiert und spürbar gemacht, was Mama, Enkel und auch Schwiegersohn empfinden. Die Sorge und Verantwortung der Angehörigen und ihr Gefühl der Hilflosigkeit werden hier ebenso spürbar, wie die Verzweiflung der erkrankten Oma. Erfrischend neu ist das Einfühlungsvermögen des Enkelkindes, dass eine spielerische Weise nutzt, um gewitzt zu einer positiven Wende zu führen. Denn Demenz muss nicht das Ende familiärer Beziehung bedeuten, sondern das Leben bietet auch weitere Wege des liebe- und respektvollen Umgangs.

Für Betroffene, die demenzkranke Angehörige haben, ist dieses Bilderbuch ebenso wertvoll, wie für Kindergärten, Schulen oder Gemeindearbeit, denn es sensibilisiert für die Thematik, ohne gleichzeitig ein Gefühl der Trauer oder Betroffenheit zurückzulassen. Vielmehr macht es Hoffnung, dass ein Weg gefunden werden kann, mit Demenz nicht abgeschoben zu werden, sondern weiter zur Familie zu gehören.

Altersempfehlung: 5-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten

Daten zum Buch „Oma Kuckuck“

Titel: Oma Kuckuck
Autor: Frauke Angel, Stephanie Brittnacher
Verlag: Edition Pastorplatz
Jahr/Auflage: 2020/1.

ISBN: 978-3943833393

Oma Kuckuck

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10gebunden, kraftvolle, farbige Bilder, die den Leser mit in Oma Kuckucks Zuhause nehmen, authentisch und kindgerecht gezeichnet
Text/Sprache10Der Text ist von Länge und Ausdruck her leicht für Leseanfänger zu erschließen, doch empfiehlt sich, das Buch gemeinsam mit dem Kind zu lesen.
Inhalt10Oma Kuckuck hat einen Vogel - bildlich gesprochen. Aber das macht sie nicht weniger liebenswert. Und weil ihre Tochter und ihre Enkeltochter sie lieben, müssen sie eine Entscheidung fällen, als Oma nicht mehr gefahrlos alleine leben kann. Wie unterschiedlich Mutter und Kind hier mit der Demenz als unvermeidbare Wahrheit umgehen, ist lebensnah und liebevoll beschrieben.
Pädagogische Themen10Familie
Verständnis
Verantwortung
Angst
Sorge
Mitgefühl
Hilflosigkeit
Pädagogischer Wert10Beim Lesen dieser Geschichte werden die Gefühle aller beteiligten gleichberechtigt wahrgenommen und berücksichtigt und eine Lösung gefunden, mit der alle leben können. Vor den Problemen, die eine Demenzerkrankung imt sich bringt, werden nicht die Augen verschlossen. Die unterschiedliche Art, die Krankheit anzunehmen, wird gut beschrieben.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10