„Ich will jetzt ein Pferd kaufen!“
„Wir können gar kein Pferd kaufen, dazu haben wir kein Geld und außerdem ist Papa allergisch.“
„Ich will aber ein Pferd kaufen!“
„Maus, wir haben dir das doch zuhause schon erklärt: Wir sind heute nur hier, um uns alles einmal anzusehen und zu fragen, ob du einen Platz in der Kinderreitgruppe bekommen kannst. Guck doch mal den Mädchen dort drüben zu, wie sie auf den Ponys reiten.“
„Ich will aber jetzt auch mal reiten!“
„Das geht nicht, heute sind alle Ponys schon besetzt, wir schauen uns das heute nur an, das ist doch auch schön, oder nicht?“
„Ich will aber JETZT reiten! Sonst – sonst – sonst kann ich niemals wieder ein Pferd haben!“ Wieder einmal stampft mein Wutzwerg namens Kleinkind mit dem Fuß auf und funkelt mich an. Tränen der Wut schießen ihr in die Augen. Und wieder einmal spüre ich, wie sich in meinem Mund ein Satz formt, der mit den nutzlosen Worten „Zum hundertsten Mal“ beginnt.
Wieder einmal muss ich meinem Kind einen Wunsch abschlagen, obwohl mir wohl kaum ein Wunsch je vertrauter war: Mein Kind will reiten. Und das am liebsten auf einem eigenen Pferd. Und zwar sofort.
Gerade an einem Tag, an dem ich dachte, dass mein Kind ganz viel Spaß haben würde, nimmt das Drama gehörig Anlauf. Immerhin sind wir nach langem Drängeln und Bitten der Lütten endlich zu dem Reiterhof gefahren.
Auch wenn es so klingt: Wir sind nicht die bösesten Eltern der Welt. Wir wollen unseren Kindern ihre Träume je nach Möglichkeit erfüllen. Warum sonst hätte sich der Papa vier Allergietabletten eingeworfen? Aber wir haben einen Fehler gemacht: Wir haben geglaubt, dass das, was wir zuhause besprochen hatten, auch vor Ort auf dem Reiterhof noch gelten würde: Nur gucken. Denn zuhause war der Plan, zu den Pferden zu fahren und sie anzusehen, vielleicht auch einmal streicheln zu dürfen, das höchste der Gefühle. Aber dann, wenn man dort ankommt und die Pferde sieht und diesen unvergleichlichen Mix aus Stall-, Mist-, Hafer- und Pferdeduft einatmet, dann ist der Gedanke, nicht sofort losgaloppieren zu dürfen, eben ein ganz tragischer.
Jedenfalls für mein Kind. Der Papa niest derweil.
Ich kann den Wunsch meines Kindes so gut nachempfinden, weil ich selbst genauso ein Pferdenarr war. Oder bin. Alle hatten gedacht, das verwächst sich noch. Und bei vielen trifft das auch zu, wenn Tanzstunden, Jungs und Musikkonzerte an Bedeutung gewinnen. Aber bei mir war das anders. Ich habe mir schon früh das Taschengeld durch Babysitting aufgepeppt, um mir davon wenigstens eine Reitstunde die Woche leisten zu können. Denn Reiten war, ist und bleibt ein teures Hobby. Deshalb – und wegen der besagten Allergie vom Papa – steht bei uns auch heute noch kein Pferd auf dem Flur oder anderswo.
Aber als die Lütte das erste Mal ihr Interesse an Pferden bekundete, war für mich klar, dass ich ihren Reitwunsch unterstützen würde. Schnell sind dann Vorwürfe aufgekommen: Ich würde meinem Kind meine Träume aufdrängen, ich würde mein Kind in die Richtung puschen. Keine Frage, ich wäre die Letzte, die dem Kind keine Bibi & Tina-Hörspiele kauft oder das Steckenpferd mit dem eingebauten Wiehern. Und natürlich war ich es auch, die den Papa überredet hat, dem Kind ein Holzpferd zum Geburtstag zu bauen. Da muss man dann schon einmal reflektieren, um sicherzugehen, ob die Reiterei wirklich im Interesse des Kindes ist, oder ob ich eine dieser Mütter bin, die ihre eigenen Träume auf ihr Kind projiziert.
Mittlerweile haben wir einen Hof gefunden, auf dem das Kind erste Reitversuche unternehmen kann. Und, was soll ich sagen: Selbst der Papa steht nickend dabei, niest und sieht das Glück im Gesicht seines Kindes. Dass alle Mädchen Pferde mögen, mag ein Klischee sein. Aber in dieser Familie trifft es zu.
Kurzrezension
Die Reihe Bille und Zottel ist ein Klassiker unter den Pferdebüchern. Der Text von Tina Caspari ist natürlich etwas in die Jahre gekommen, technische Neuerungen der letzten dreißig Jahre muss man sich wegdenken oder zur überarbeiteten Neuauflage greifen.
Aber dieser erste Sammelband von 1978 ist nach wie vor erfrischend, mitreißend, liebevoll, spannend und lustig geschrieben und wird die Pferdebegeisterung eines jungen Mädchens auf keinen Fall reduzieren.
Doch nicht nur für Pferdenarren und Mädchen sind die Geschichten um Bille und das bunt gescheckte ehemalige Zirkuspony Zottel ein Riesenspaß. Der junge Leser erlebt mit Bille viele lustige und spannende Abenteuer, lernt von der Pike auf, was es heißt, Verantwortung für ein Tier zu übernehmen, aber auch Verantwortung für die eigenen Entscheidungen. Mit Bille geht der Leser durch das gesamte Gefühlsspektrum heranwachsender Kinder und Jugendlicher. Soziale Unterschiede, Toleranz und Vorurteile, die Schwierigkeit, Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten, wenn die Interessen sich ändern: All das wird in der Reihe um Bille und Zottel feinfühlig und authentisch thematisiert. Schwierige Familienverhältnisse finden hier ebenso Raum, wie erste Liebesgefühle, Ehrgeiz, Erfolg und Niederlagen. Im hier vorgestellten Sammelband 1 finden sich die Bücher
Bille und Zottel – Pferdeliebe auf den ersten Blick
Bille und Zottel – Zwei unzertrennliche Freunde
Bille und Zottel – Mit einem Pferd durch dick und dünn
Der erste Band beginnt mit Billes Sorgen um ihre Zukunft. Gerade hat sie es geschafft, bei dem berühmten Springreiter Tiedjen mit den Pferden arbeiten zu dürfen. Er hat sie zur Pflegerin des vom Dorftierarzt geretteten Zirkusponys Zottel gemacht. Zwischen Bille und Zottel entwickelt sich sofort eine große Pferdeliebe. Doch dann stehen die Pläne ihrer Mutter, vom Land in die Stadt zu ziehen, plötzlich im Raum. Der kleine Dorfladen, den sie bislang geführt hat, wirft nicht mehr genug ab, und Arbeit, glaubt sie, findet sich eher in der Stadt. Dort aber wäre Bille weit weg von Zottel und all den anderen Pferden, von ihren Freunden ganz zu schweigen. Doch zum Glück wendet sich das Blatt, als Onkel Paul sich endlich traut, Billes Mutter um ihre Hand zu bitten und ihr außerdem die Leitung des neuen Supermarktes im Ort überträgt. Zottel heckt derweil einen Streich nach dem anderen aus und macht sogar einen Einbrecher dingfest.
Im zweiten Band lernt Bille die drei Jungen des benachbarten Hofes kennen und findet in der Waisin Bettina eine echte Seelenverwandte und Reiterfreundin. Doch bis es so weit ist, braucht es viel Zeit, Feingefühl und Überzeugungsarbeit. Ihr Reitunterricht bei Herrn Tiedjen nimmt mehr und mehr Form an und der Umgang mit den Pferden, der anfangs noch ein unerreichbarer Traum zu sein schien, ist jetzt fester Bestandteil ihres Lebens. Einzig einen großen Wunsch hegt Bille noch: Sie beginnt, dafür zu arbeiten und darauf hin zu sparen, sich eines Tages Zottel kaufen zu können. Dann plötzlich erfährt sie, dass Zottel bereits verkauft sein soll. Für Bille bricht eine Welt zusammen. Darüber vergisst sie ganz und gar, dass ihr dreizehnter Geburtstag vor der Tür steht.
Im dritten Band lernt der Leser Billes neue Freunde, die Jungen vom Peershof und Bettina noch besser kennen. Die Kinder erleben viele Abenteuer gemeinsam mit ihren Pferden, ziehen Autos aus Schneewehen und helfen beim Hochwasser als Rettungstrupp aus. Auf Billes Bitten hin hat Herr Tiedjen begonnen, auch die anderen vier Pferdenarren zu unterrichten. Ein aufregender Geländeritt mit Pferdetausch beschließt diesen Band. Im Anhang finden sich noch Quizfragen und wissenswerte Anekdoten für Pferdefans.
Auch dreißig Jahre nachdem mir die Geschichten von Bille und Zottel das erste Mal über den Weg kamen, ist meine Begeisterung für diese Bücher ungebrochen, und ich freue mich darauf, sie eines Tages meinen Kindern weiterreichen zu können. Ich bin überzeugt davon, dass sie die beiden Helden ebenfalls ins Herz schließen werden. Die empfohlene Altersspanne verdeutlicht, dass es sowohl von der Textmenge als auch von den Themen sehr auf das einzelne Kind ankommt, ob es die Bücher schon mit neun oder erst mit vierzehn Jahren lesen mag.
Altersempfehlung: 9-14 Jahre
Vorlesezeit: –
Daten zum Buch „Bille und Zottel – Sammelband 1“
Titel: Bille und Zottel – Sammelband 1
Autor: Tina Caspari
Verlag: Schneider
Jahr/Auflage: 1978
ISBN: 350-5079324
Bille und Zottel
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
---|---|---|
Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | handliches Taschenbuchformat, gebunden mit Einschlag, die Geschichten sind gespickt mit wunderschönen, lebendigen Zeichnungen |
Text/Sprache | 10 | Die Version aus den siebziger Jahren ist auch heute noch gut zu lesen, lediglich die Mundart der Jugendlichen mag den heutigen Lesern etwas ungewohnter vorkommen. Dennoch findet sich gerade durch das eine oder andere Schimpfwort eine gewisse Authentizität wieder. |
Inhalt | 10 | Dieser Sammelband enthält die ersten drei Bücher über das Mädchen Sibylle Abromeit, kurz Bille, und das buntgesprenkelte Zirkuspony Zottel. Es erzählt, wie es dazu kam, dass das Pony auf dem Hof des berühmten Springreiters Tiedjen einzog und Bille zu seiner Pflegerin wurde. Nach und nach entwickelt sich nicht nur zwischen Bille und dem Pony eine dicke Freundschaft, sondern auch zwischen ihr und den Kindern des benachbarten Peershofes. Die Abenteuer der Kinder und ihrer Pferde sind nicht nur für Pferdefreunde unterhaltsam und spannend, denn Bille und Zottel erleben Höhen und Tiefen, die Teenagern auch heute noch aus der Seele sprechen: Alte und neue Freundschaften, Vorurteile und Toleranz, Familie, Schule, erste Liebe,und der Tod - alle Themen werden sensibel wie selbstverständlich eingebracht und lassen den jungen Leser an Billes Leben teilhaben, als sei sie eine gute Freundin von nebenan. |
Pädagogische Themen | 10 | Freundschaft Tierliebe und Tierschutz Träume und Ziele erste Liebe Familie Generationsunterschiede sozialer Status |
Pädagogischer Wert | 10 | Der Umgang mit Trauer und Verlust wird in den Geschichten um Bille und Zottel und ihre Freunde genauso thematisiert, wie das schließen neuer Freundschaften, Generationenkonflikte, Vorurteile und erste Liebe. Die Reihe von Tina Caspari spiegelt die Träume und Sehnsüchte von Teenagern gestern wie heute und vermittelt Grundwerte. |
Schlüssigkeit/Logik | 10 | |
Kreativität | 10 |