„Mama, ich habe eine Brummel gesehen! Hier, auf der Kugelblume! Eine ganz große Brummel, die trinkt Honig!“
Na gut, noch bringt das Kind einiges durcheinander. Die Brummel ist natürlich eine Hummel, und sie trinkt auch keinen Honig aus der Distel, auf der sie gerade sitzt. Aber die Begeisterung, mit der mein Kind durch mein Beet spaziert und die Tiere und Blumen entdeckt, ist einfach zu schön.
Im Alltag übersehe und überhöre ich das aber sehr oft. Es ist wohl zu selbstverständlich für uns: Wir leben auf dem Land und haben Bäume, Blumen und Gemüsebeete, in denen sich Vögel und Insekten aller Art tummeln. Als wir vorige Woche eine kleine Maus entdeckten, die zwischen dem Kräuterhochbeet und einer Ritze zwischen den Terrassenpflastersteinen hin und her flitzte, welche wohl den Eingang zu ihrem Bau bildete, da setze die Lütte sich eine geschlagene halbe Stunde vor das Mäuseloch im Pflaster. Sie wollte die Maus fangen, damit sie sie streicheln könnte. Freilich hockte mein Kind dort ohne jegliche Chance auf Erfolg, aber dafür mit Freude und einer ungeahnten Ausdauer.
Manchmal bekommen wir Besuch von Freunden aus der Stadt. Deren Kinder lassen sich dann von unseren in die geheime Welt der Naschbeeren entführen. Dann schleichen sie gemeinsam von Strauch zu Strauch und Baum zu Baum und probieren die reifen Himbeeren und die noch nicht ganz so reifen Pflaumen und Zwetschgen. Die Kleineren pflücken grundsätzlich alles, was nach Frucht aussieht, und bringen uns dann stolz eine Handvoll grüner Tomaten. Die reifen zum Glück nach, im Gegensatz zu den steinharten sauren jungen Äpfeln.
Viel zu selten schaffen wir es, wie die Kinder mit offenen Augen durch den Garten zu gehen. Und die lauen Sommerabende, an denen wir draußen sitzen und dem Gemüse beim Wachsen zusehen können, sind ebenso rar gesät. Umso wichtiger, dass die Kinder uns immer wieder daran erinnern, wie vielfältig und lustig die Natur sich zuweilen zeigt. Sie sehen die Welt um sich herum viel unvoreingenommener und führen uns dadurch die besonderen Eigenheiten der Pflanzen und Tiere vor Augen. Und genau das macht auch Antje im vorliegenden Buch der Woche.
Kurzrezension
Zum fünften Geburtstag bekommt Antje ein ganz besonderes Geschenk von ihrem Papa: Einen Baum. Er hatte ihn zu ihrer Geburt gepflanzt und nun soll es ihr ganz eigener Baum sein. Dieser Holunderbaum ist fortan Antjes bester Freund. Sie klettert Tag für Tag in seine Krone und beobachtet von dort oben das Treiben im Gemüsebeet. Sie spricht mit ihrem Baum und er scheint sie zu verstehen.
Antje ist gerne im Garten, beobachtet die Natur, alle Pflanzen und Insekten, Vögel und Mäuse. In der ersten Geschichte möchte Antje so schnell groß werden, wie ihr Baum. Sie buddelt ihre Füße in der Erde ein. Doch der Holunder warnt sie: Wenn sie zu tief Wurzeln schlägt, dann muss sie für immer an diesem Ort bleiben und ihre Freiheit aufgeben. Da besinnt sich das Kind und löst sich schnell wieder von der Erde.
Die zweite Geschichte handelt davon, wie Antje alle Tiere im Garten von ihrem Holunder aus beobachtet. Als der Vater die Tiere beschuldigt, die Erdbeeren genascht zu haben, ist Antje ehrlich und nimmt die Tiere in Schutz, denn schließlich war sie es selbst, die die Früchte genascht hat. Die Nachbarstiere sind Antje nicht so geheuer. Der Hahn ist ihr zu laut und auch der immer bellende Hund hinter der Dornenhecke macht ihr Angst. In ihrem Holunderbaum aber ist sie sicher, da kommen weder Hahn noch Hund hinauf.
In der dritten Geschichte lernt Antje, dass der bellende Nachbarshund gar nicht so übel ist, und sie freundet sich mit ihm an. Geschichte vier spielt sich in einem anderen Garten ab, genauer gesagt in der Gartenlaube von Antjes Großvater. Hier fühlt sich das Mädchen genauso wohl, wie in ihrem Baum, denn auch hier kann sie viele Tiere beobachten. Geschichte fünf erzählt von den Freunden, die Antje in Nachbarschaft hat, unter anderem einen wasserscheuen Kater. Als Antje ihn in ihrer Puppenbadewanne waschen möchte, nimmt er Reißaus.
Geschichte sechs handelt von Antjes Ärger mit dem Nachbarshahn und in der siebten Geschichte malt Antje mit ihren neuen Farben und Stiften all die Dinge, die ihr wichtig sind – und das ist natürlich auch ihr Lieblingsplatz im Holunderbaum.
Die Geschichten um Antje und die Natur sind in kindgerechter Sprache verfasst worden und erzählen locker und leicht von ihren kleinen und großen Abenteuern mit den Tieren. Dabei lernt Antje, Vorurteile zu überwinden und Rücksicht auf andere zu nehmen. Außerdem merkt sie, dass es nicht gut ist, ein Tier zu ärgern, selbst wenn es der gemeine Nachbarshahn ist. Viel besser lebt es sich im Einklang mit Pflanzen und Tieren.
„Antje im Holunderbaum“ ist unspektakulär, aber zeitlos schön geschrieben. Ein Buch für Leseanfänger, wenn auch Schreibschrift aus der Mode gekommen ist – hier können Erstleser in ihrem eigenen Tempo kurze und lustige Geschichten lesen oder sich vorlesen lassen. Liebevolle bunte Zeichnungen ergänzen die Erzählungen. Ganz nebenbei entdecken Kinder zudem durch Antje den Zauber eines Gartens und erfahren, wie lecker Beeren sind, wenn man sie nicht im Supermarkt kaufen muss, sondern direkt in der Natur pflücken und naschen darf.
Altersempfehlung: 5-8 Jahre
Vorlesezeit: 7 Geschichten à 8-10 Minuten
Daten zum Buch „Antje im Holunderbaum“
Titel: Antje im Holunderbaum
Autor: Karl-Heinz Weise
Verlag: Fischer / Bd 403 / Buntes Göttinger Fischer-Buch, Schreibschrift
Jahr/Auflage: 1971
ISBN: 343-9002608
Antje im Holunderbaum
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover Schreibschrift schöne und authentische Zeichnungen |
Text/Sprache | 9 | Der Text ist kindgerecht und abgesehen von ein paar Worten, wie dem lateinischen Begriff für Holunderbaum, leicht zu lesen. |
Inhalt | 10 | Antje verbringt viel Zeit in der Natur, vor allem in ihrem Holunderbaum und mit den Tieren. Ihre Beobachtungen und Erlebnisse in der Natur und mit Tieren füllen die sieben kurzweiligen Geschichten unterhaltsam und hinterlassen eine positive Stimmung. |
Pädagogische Themen | 10 | Natur Tierliebe Familie Bescheidenheit Rücksicht |
Pädagogischer Wert | 10 | Antje ist ehrlich und bemüht sich, Vorurteile zu überdenken und Rücksicht zu nehmen. Auch als sie den Hahn, den sie nicht mag, ärgert, lernt sie aus den Folgen, dass es besser ist, kein Tier zu ärgern. |
Schlüssigkeit/Logik | - | |
Kreativität | 10 |