Migration, Integration, Toleranz und Vielfalt sind seit Jahren Schlagzeilenthemen in vielen Ländern Mitteleuropas, so auch in Deutschland. Im Kindergarten, wo die Integration der Kleinsten stattfindet und Unterschiede zuerst zutage treten, wird weniger darüber diskutiert, dafür mehr Gemeinschaft praktiziert.
Kurzrezension
Dieser Lesemaus-Sammelband enthält sechs Geschichten zu typischen Bräuchen und Traditionen von Familien unterschiedlicher Herkunft und Religion. Angefangen wird mit „Levent und das Zuckerfest“. Levent erzählt im Kindergarten seinen Freunden, dass er und seine Schwester als Muslime gerade Ramadan haben und deshalb auf vieles verzichten müssen. Aber am Ende des Ramadans gibt es ein Zuckerfest.
Tom möchte dieses Fest miterleben. Deshalb übernachtet er bei seinem Freund und wird mitten in der Nacht geweckt, um mit Levents Familie und den Nachbarn zusammen zu essen und zu spielen. Dafür fällt dann aber das eigentliche Frühstück aus und die Kinder gehen direkt nach dem Aufstehen in den Kindergarten. Am nächsten Tag fährt Tom dann wieder mit zu Levent, denn nun ist die Fastenzeit vorbei und Levents Familie feiert das Zuckerfest. Dafür ziehen sich alle chic an und besuchen ihre Verwandten, bei denen dann ganz viele Süßigkeiten gegessen werden.
Geschichte zwei handelt von einer Familie aus Tansania. Der Junge Mwangaza darf im Kindergarten im Kreis eine Geschichte erzählen. Er ist aufgeregt und kann die Nacht vorher nicht schlafen, weil er nicht weiß, was er erzählen soll. Seine Eltern wollen ihn beruhigen, doch zufällig verliert seine Schwester Amani gerade an diesem Abend einen Zahn. So ergibt es sich, dass Mwangaza im Kindergarten erzählen kann, wie in Tansania das Ausfallen eines Zahns zelebriert wird: Mit einem Lied von einem Raben.
Die dritte Geschichte handelt von dem jüdischen Pessachfest. Almas Familie lädt das Nachbarskind Lena ein, mitzufeiern. Die Wohnung wird geputzt, alle Brosamen müssen verschwinden, sie werden gesammelt und am Folgetag verbrannt. Dann wird das traditionelle Pessach-Mahl gegessen mit Mazzen und Salzwasser und die Geschichte des Auszugs der Israeliten aus Ägypten wird vorgelesen. Die Kinder dürfen sich noch auf „Schatzsuche“ begeben und das Fest endet mit viel Lachen und Freude.
Geschichte Nummer vier heißt „Lili und das chinesische Frühlingsfest“. Wiederum werden Kleider und besondere Mahlzeiten erklärt und vorgestellt und ein chinesisches Mädchen lädt ihre Kindergartenfreundin ein, das Fest mitzufeiern.
So bekannt es dem Leser inzwischen vorkommt, geht es auch in Geschichte fünf weiter. Diesmal befinden wir uns auf einer Reise nach Polen, um Mariä Himmelfahrt mit einer katholischen Familie zu feiern, denn Teresa hat ihre Freundin Jana dazu eingeladen. Festtagskleidung, ein Umzug und – nein, kein Essen, zumindest wird es diesmal nicht beschrieben, sondern es wird ein Brauch gepflegt, in dem es um ganz viele Kräuter geht.
Dafür aber gibt es in der letzten Geschichte wieder ganz viel zu essen. Anlass ist diesmal die Geburt von Hudas Bruder. Die syrische Familie bekommt dazu Besuch von der Oma aus Damaskus. Und diese bringt nicht nur jede Menge Naschsachen mit, sondern auch traditionelle Bräuche wie Weihrauch anzünden und Salz auf den Boden streuen. Und natürlich dürfen auch die Kindergartenfreunde von Huda am Ende noch zu Besuch kommen, um das Baby zu sehen, und bekommen von Hudas Oma auch gleich ein paar Süßigkeiten geschenkt.
Das Anliegen ist löblich, die Auswahl der vorgestellten Traditionen und Glaubensrituale aber ein bisschen klischeehaft und oberflächlich. Vielleicht, weil man zu viel Tiefe in den Geschichten für die Kleinsten vermeiden und erst einmal nur aufzeigen will, dass es Unterschiede gibt, die man, wenn man sich offen zeigt, miterleben kann. Durch den nahezu immer gleichen Aufbau der Geschichten mit wenig Handlung und viel Erklärungen wird aber kaum Spannung aufgebaut, sodass sich das Interesse der Kinder beim Vorlesen leider in Grenzen hält. Die Worte, Gebete und Sprüche in anderer Sprache erschweren das Vorlesen, hier wäre eine Übersetzung in Lautschrift hilfreich gewesen, um die Hemmschwelle des Vorlesers und das Interesse der Kinder zu steigern.
Insgesamt gesehen ist das Buch für Kindergartenrunden sicher besser geeignet, als für den Hausgebrauch, da die Geschichten besser besprochen, als nur vorgelesen werden sollten. Um erste Eindrücke davon zu vermitteln, dass jede Familie je nach Herkunft oder Religion andere Bräuche pflegt, ist dieser Sammelband aber geeignet.
Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Lesezeit/Seitenzahl: 6 Geschichten à 5-8 Minuten
Daten zum Buch „Starke Geschichten für alle Kinder dieser Welt“
Titel: Starke Geschichten für alle Kinder dieser Welt
Autor: Myriam Halberstam, Dorothea Tust e.a., mit einem Vorwort der Stiftung Lesen
Verlag: Carlsen
Jahr/Auflage: Lesemaus Sammelband 2016 / 1.
ISBN: 978-3551089731
Starke Geschichten für alle Kinder dieser Welt
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 9 | |
Titelwahl | 7 | Die Geschichten sind weniger FÜR als VON Kindern dieser Welt. "Alle" ist hierbei übertrieben und "stark" ebenfalls. |
Aufmachung | 10 | abwischbarer Hardcover-Einband, quadratisches Lesemausformat, bunte und kindgerechte Zeichnungen |
Text/Sprache | 9 | Abgesehen von den anderssprachigen Namen und Begriffen, für die eine Lautschrift oder Erklärung der Aussprache hier und da hilfreich wäre, ist der Text verständlich und auch von Leseanfängern zu bewältigen. |
Inhalt | 8 | Dieser Sammelband enthält Geschichten über traditionelle Feste wie Pessach und chinesisches Frühlingsfest und Ereignisse wie Zahnwechsel und Geburt eines Geschwisterchens. Jede der sechs Geschichten handelt von einem anderen Kind, das seinen Freunden seine Religion oder Tradition in Ansätzen erklärt und sie einlädt, mitzufeiern. |
Pädagogische Themen | 10 | Vielfalt PoC/KoC Traditionen Bräuche Glaube/Religion Familie Freundschaft |
Pädagogischer Wert | 9 | Hier werden unterschiedliche Bräuche zwar vorgestellt, aber nur Bruchstücke der Traditionen erklärt und die gewählten Beispiele sind so spannungslos erzählt, dass das Ziel, Interesse für Andere zu wecken, leider etwas verfehlt wird. |
Schlüssigkeit/Logik | 10 | |
Kreativität | 8 | Die Erzählungen sind alle recht ähnlich: Kind lädt Freund ein zum mitfeiern. Die Traditionen haben fast alle etwas mit Essen oder besonderer Kleidung zu tun. |