Leb wohl, lieber Dachs

Leb wohl, lieber Dachs, Susan Varley

Wie ist das, wenn jemand stirbt? Und wie ergeht es den Hinterbliebenen? Dieses Tierbuch geht das Thema ruhig und beschaulich an.

Kurzrezension

Der Dachs wusste, dass er bald sterben würde, denn er war alt. Er hatte keine Angst vor dem Tod, aber er sorgte sich um seine Freunde, die er zurücklassen würde. Er schrieb ihnen einen Brief und setzte sich dann in seinen Schaukelstuhl, wo er einschlief und zu träumen begann.

Der Traum führte ihn durch einen sehr langen Tunnel, und als er stürzte, merkte er, dass ihm nichts mehr weh tat und er schnell laufen konnte. Am nächsten Tag fand der Fuchs den Dachs tot vor und las den anderen Tieren den Abschiedsbrief vor.

Alle waren nun traurig, besonders der Maulwurf. Nun kam der Winter, Schnee bedeckte alles und die Traurigkeit der Tiere hielt sich bis zum Frühling. Dann begannen sie, sich zu treffen und von der schönen Zeit mit dem Dachs zu sprechen. Durch die schönen Erinnerungen verschwand die Trauer und wich einem Schmunzeln, wann immer sie an den Dachs dachten.

 

Schon der Titel überzeugt nicht, denn er suggeriert, dass die Freunde Gelegenheit haben, sich zu verabschieden. Der Dachs hat zwar hin und wieder mal erwähnt, dass er nicht ewig leben wird, doch als er spürt, dass er sterben wird, zieht er sich zurück.

Der englische Originaltitel „Badger’s Parting Gifts“ drückt aus, worum es gehen soll: Dass die schönen Erinnerungen an den Verstorbenen, die wir teilen, und die Dinge, die wir möglicherweise von ihm gelernt haben, wie Geschenke sind. Sie sind wie ein Schatz, etwas, das man bewahrt, das einem bleibt, wenn jemand stirbt. Dass das Teilen der schönen Geschichten und Erinnerungen helfen kann, die Trauer zu verarbeiten, ist die zweite positive Botschaft.

 

Leider hebt dies die Negativpunkte nicht auf. Da sind zum einen die ausdruckslosen Zeichnungen aus den 80ern. Die Tiere, allesamt in Anzüge oder Kleider gesteckt, haben keinerlei Charakter oder Individualität. Daher ist es auch nicht auszuschließen, dass der just verstorbene Dachs, der in einer Szene zwischen den anderen Tieren sitzt und zuhört, wie sein eigener Abschiedsbrief vorgelesen wird, eigentlich einen anderen Dachs darstellen sollte, der zufällig dieselbe Jacke trägt. Verwirrend ist es allemal, den Toten zwischen den Lebenden zu sehen – selbst für Christen.

Dass der Dachs einschläft und träumt und der Schlaf und Traum mit dem Tod gleichgesetzt werden, ist für Kinder keine gelungene Assoziation. Ja, es gibt Menschen, die im Schlaf sterben. Dennoch ist die Verbindung von Schlaf und Tod in einem Kinderbuch unglücklich, schürt sie doch entweder falsche Hoffnung – man könnte wieder aufwachen – oder Ängste, selbst einzuschlafen. Der dunkle, lange, nicht enden wollende Tunnel, in dem der Dachs auch noch stolpert – das ist keine Aussicht, die Hoffnung macht, sondern eher düstere Gedanken und Ängste auslöst, zumal am Ende des Tunnels kein Licht zu sehen ist. Der Dachs geht in ein schwarzes Nichts.

Irritierend auch die zwei Maulwürfe auf dem Gruppenbild, denn es ist doch eben genau EIN Maulwurf, der jetzt laut Text ganz einsam zurückbleibt. Was ihn mehr als alle anderen mit dem Dachs verbunden hat, wird nicht klar.

Dann sind da noch die Erinnerungen, die die Tiere an den Dachs haben: Immer wieder wird erwähnt, wie wichtig der Dachs für die anderen war und wie sehr er ihnen geholfen hatte. Und als Beispiele werden dann angeführt: Scherenschnitt, Krawattenknoten, Plätzchen backen und Eislaufen. Gewiss, das sind schöne Dinge. Es sind Erinnerungen, die sicher viele Kinder an ihre Großeltern oder Onkel und Tanten haben – aber nicht gerade lebensnotwendige Gaben, mit denen sie einander helfen könnten. Und wenn es hier schon bildlich um den Verlust eines liebgewonnenen älteren Menschen gehen soll – warum dann die abstrakte Darstellung durch Tiere? Wenn aber unbedingt Tiere – warum sind die Gaben dann nicht welche, die zu ihnen passen würden, beispielsweise wie dem Maulwurf zu zeigen, wie man einen besonders tollen Gang buddelt?

Der symbolische Winter, der nach dem Tod beginnt, ist auch nicht optimal, denn Schnee und Ruhe sollen doch in Kinderaugen nichts Negatives sein. Die sehr lange dauernde Einsamkeit, die alle Tiere nun umgibt, bis sie sich im Frühjahr wiedertreffen, ist sehr bedrückend. So springt der Hoffnungsfunke am Ende aufgrund der extrem langweilig und unpersönlich geschriebenen Geschichte auch einfach nicht richtig über.

Der negativste Punkt der ganzen Geschichte ist jedoch dieser Abschiedsbrief: „Bin durch den langen Tunnel gegangen. Lebt wohl, Dachs.“ Ganz ehrlich: Diesen Brief hätte er sich echt sparen können, der liebe Dachs. Das ist, wie wenn man seinen Freunden und Angehörigen ne Whatsapp schicken würde: „Tschüss, bin jetzt tot.“ Kein liebes Wort, keine Aufmunterung, einfach lieblos und unnötig ist so ein Abschiedsbrief. Und er passt so gar nicht in die Geschichte. Der liebe alte Dachs sorgt sich um seine Freunde. Und als er merkt, dass er sterben wird, setzt er sich hin und schreibt zwei popelige Sätze? Ja, klar, manchmal ist weniger mehr. Aber hier ist es einfach zu wenig.

Insgesamt können also leider weder Text noch Bilder überzeugen. Der Auflagenzahl merkt man dies allerdings nicht an.

Altersempfehlung: 5-6 Jahre
Lesezeit/Seitenzahl: 10 Minuten

Daten zum Buch „Leb wohl, lieber Dachs“

Titel: Leb wohl, lieber Dachs
Autor: Susan Varley
Verlag: annette betz
Jahr/Auflage: 2014 / 3.

ISBN: 978-3219115284

Leb wohl, lieber Dachs

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt6
Titelwahl5Es sagt niemand dem Dachs Lebwohl, sondern er geht zum Sterben und schreibt den anderen "Lebt wohl". Der englische Originaltitel wäre hier besser inhaltlich übersetzt worden.
Aufmachung6Hardcover
Kleines Bilderbuch mit sehr ausdruckslosen und vagen Zeichnungen sowie einem inhaltlichen Bildfehler. Den Figuren fehlt jegliche Persönlichkeit. Das Titelbild sieht aus, als ob die Tiere Schlange stehen um zu kondolieren oder Abschied zu nehmen, beides passt nicht zur Geschichte.
Text/Sprache8Der Text ist sehr ruhig, aber dadurch auch sehr langweilig geschrieben und beim Vorlesen lässt die Konzentration der kleine Zuhörer schnell nach. Die Verknüpfungen von Begriffen wie Schlaf und Traum und Hinfallen mit dem Sterben ist unglücklich - entweder sie werden vom Kind nicht verstanden, oder aber die Assoziation löst negative Gefühle aus.
Inhalt7Der Dachs ist alt und schwach und weiß, dass er bald sterben wird. Er zieht sich zurück, schreibt einen Abschiedsbrief, setzt sich in den Schaukelstuhl und stirbt. Das Sterben wird als Gang durch den langen Tunnel umschrieben. Die anderen Tiere sind traurig, als sie ihn tot auffinden. Jedes von ihnen verbringt den Winter allein. Im Frühjahr treffen sie sich dann und erzählen sich ihre schönen Erinnerungen an den Dachs. Dadurch überwinden sie ihre Trauer und können lächelnd an den Dachs zurückdenken.
Pädagogische Themen10

Trauer
Sterben
Alter
Trost
Erinnerung
Pädagogischer Wert6Die Geschichte ist zu abstrakt und unpersönlich, als dass sie kleine trauernde Leser wirklich erreicht. Einzig die Erklärung, dass nach der Trauer die geteilten Erinnerungen ermöglichen, sich dankbar und lächelnd zu erinnern, ist von Wert. Den Tod als Einschlafen zu umschreiben und der sehr kurze und unpersönliche Abschiedsbrief sind aber leider eher negativ.
Schlüssigkeit/Logik5Warum menschliche Erinnerungen hier krampfhaft auf Tiere projeziert werden, die dann auch noch so unpersönlich gezeichnet und beschrieben werden, dass eine Identifikation nahezu unmöglich ist, erschließt sich nicht. Warum der Verstorbene zuhört, wie sein eigener Brief vorgelesen wird, auch nicht.
Kreativität6Es fehlt hier einfach sehr viel.