Mein Trauzeuge hatte es mir geschenkt: Das Kinderbuch „Meine ersten Kinderreime“ von Ravensburger. „Ich bin nicht so der Singsang-Hoppe-Reiter-Typ“, hatte ich zu ihm gesagt, als mein erstes Kind geboren wurde. „Natürlich beschäftige ich mich mit meinem Kind, natürlich rede ich mit ihm. Aber diese Babysprache, diese Babylieder und Reime sind echt nicht mein Ding. Da komm ich mir blöd vor, wenn ich auf einem Bein durchs Haus hüpfe und Eene meene Muh rufe.“
Aber jetzt ging es eben nicht darum, was für ein Typ ich war oder nicht – hier ging es darum, was für ein Typ mein Kind war. Und die Wahrscheinlichkeit, dass mein Kind ein „Ich-mag-Reime-nicht“-Kind war, ging gen Null.
Damit mein Kind also die Chance hätte, Reime kennenzulernen, hatte man mir nun dieses Buch aufgezwängt. Ich bin ja nicht so. Ein Buch, das im Hause ist, wird auch gelesen – vielleicht nicht gern, vielleicht nicht oft und manchmal auch nicht bis zum Ende. Aber es bekommt seine Chance.
Und wie nicht anders zu erwarten: Mein Kind fand das Buch gut, supergut sogar. Obwohl mir zu der Hälfte der Reime keine Melodie einfiel, obwohl ich die wenigsten Spielanleitungen befolgte – ich musste nur ritzeratze sagen oder sie mit den Fingern im Nacken kitzeln und sie lachte sich weg.
Den Haupteinsatz fand das Kinderbuch „Meine ersten Kinderreime“ aber mit Oma. Das war gut so. Das sollte so sein. Und es erleichterte mein schlechtes Gewissen ungemein. Omas dürfen sich guten Gewissens zum Kasper machen, in der S-Bahn Hoppe-Reiter oder Ri-ra-rutsch singen und laut in die Hände klatschen. Viele sind der Meinung, Omas müssten sogar Ringelreigen tanzen und „Brüderchen komm tanz mit mir“ auswendig kennen. Mama muss immer arbeiten, oder kochen, oder die Tiere füttern und Windeln wechseln. Oma hat immer Zeit und Oma mag gerne singen. Bei Oma war das Buch in besten Händen und mein Kind war glücklich.
Aber was ist mit Kindern, die keine Oma in der Nähe haben, oder deren Eltern sich an keine Reime aus ihrer Kindheit mehr erinnern, weil sie vielleicht auch keine Oma hatten? Für diese Kinder gibt es ein Buch, das sie immer wieder auch den strengsten Reimverweigerern auffordernd auf die Knie legen können: „Meine ersten Kinderreime“.
Ich weiß: Reime und Verse, Lieder und Fingerspiele sind Geschmackssache und kosten oft ein bisschen Überwindung, vor allem in der Öffentlichkeit. Aber sie sind auch ein einfacher, kostenloser Weg, den Kindern Spaß zu bereiten und Nähe zu pflegen. Und das geht in der Bahn, im Bus, Zuhause, an der Kaffeetafel auf der Familienfeier – eben überall. Alles, was man dafür braucht, ist Zeit.
Ich bin auch heute noch kein Reimtyp. Aber ich glaube, ich war es als Kind, denn den Hoppe-Reiter, den kannte ich und den hatte ich auch immer mal mit meinen Lütten gespielt. Und auch die Pflaumen wurden jahrelang vom Zeigefinger heruntergeschüttelt. Vielleicht nicht im Bus und auch selten im Restaurant, aber im überfüllten Wartezimmer neulich: Da wollte ich mein Kind davon abhalten, Berge von teuren Zeitschriften auseinander zu nehmen. Also habe ich es mir geschnappt, es auf meine Knie gesetzt und Ri-ra-rutsch gesungen.
Es hat mir nicht weh getan, mein Kind hatte Spaß, und ich habe weder irritierte oder genervte Blicke geerntet. Im Gegenteil: So manch ein wartender Patient fühlte sich wohl an seine Kindheit erinnert und es huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
„Na also, es geht doch“, würde mein Trauzeuge wohl sagen.
Kurzrezension
Das Kinderbuch „Meine ersten Kinderreime“ stammt aus der Reihe „Ravensburger Kinderbibliothek“, in der es auch erste Fingerspiele, Gutenacht-Geschichten und Kinderlieder gibt. Altbekannte Reime und Bewegungsspiele werden hier mit neueren, unbekannteren Versen präsentiert.
In großen, bunten Bildern werden kindgerecht die Themen der Reime aufgenommen: Kätzchen, Uhren, Pflaumen, Finger, Füße, Mäuse, Sonne, Häschen und viele mehr. Dabei zeichnen sich die wenigsten Verse durch hohe dichterische Kunst aus. Es zählt der wiederkehrende Laut oder ein witziger Ausdruck, an dem kleine Kinder üblicherweise besondere Freude haben: ritzeratze, rapp-rapp-rappelt, ticketacketick.
Neben oder unter viele der Reime wurde eine kurze Spielanleitung geschrieben. Natürlich kann man die Reime auch ohne Animation und Bewegung vorlesen und sich nur die Bilder ansehen. Aber das Buch lädt ein, sich intensiver mit seinen Kindern zu beschäftigen, sie in den Arm zu nehmen, zu kitzeln, zu küssen, sie hüpfen zu lassen und an den Fingern Verse abzuzählen.
Kinder brauchen neben geistiger Beschäftigung und Anregung, neben Sprache und visuellen Reizen auch Nähe und Körperlichkeit, das ist kein Geheimnis. Oftmals geht das in der Mechanik des Alltags aber unter. Natürlich hab ich mein Kind auf dem Arm, trage es durch die Gegend, wickle es, hebe es hoch – aber wie oft krabbeln meine Finger durch sein Haar, wann tippen meine Fingerspitzen seine Füße an, wann bekommen die kleinen Fingerkuppen ein Küsschen?
Dieses Buch ist „Buch der Woche“, um daran zu erinnern, dass Kinder sich über eine intensive Spiel- und Kuschelzeit mit ihren Eltern immer, wirklich immer freuen, und wenn es nur ein „Daumen-Pflaumen-Reim“ beim Kaffeetrinken oder ein „Guten Morgen Pieke-Finger“ beim Aufstehen ist.
Jetzt in der Vorweihnachtszeit, in der viele Eltern von Geschäft zu Geschäft hetzen oder Online-Shops durchstöbern auf der Jagd nach Dingen, die ihre Kinder glücklich machen könnten, kann ein Buch wie dieses uns daran erinnern, was Kinder hauptsächlich brauchen: Zeit und Zuwendung.
Altersempfehlung: 0-4 Jahre
Vorlesezeit: –
Daten zum Buch „Meine ersten Kinderreime“
Titel: Meine ersten Kinderreime
Autor: Text: Volksgut und Kinderreime von Cornelia Nitsch / Illustration: Susanne Szesny
Verlag: Ravensburger
Jahr/Auflage: 2011
ISBN: 978-3473324675
Meine ersten Kinderreime
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover Es wurde ein schönes Quadrat-Format gewählt. Das Buch hat stabile Seiten, sodass es auch von den Kleinsten selbst angeschaut werden kann. Sehr kindgerechte, bunte, fröhliche Zeichnungen, die sich nicht in zu vielen Details verlieren, wurden passend zu den Reimen gefertigt. |
Text/Sprache | 8 | Es ist, wie der Titel schon sagt, eine Reimsammlung. Altbekannte traditionelle Verse treffen hier auf Neuschöpfungen, die nicht den Anspruch haben, inhaltlich oder grammatikalisch Sinn zu machen. Der Reim steht im Vordergrund, und klingt an einigen Stellen entsprechend erzwungen. Rechtschreibfehler im ersten Vers "ihr Pike-Dinger" - hier geht es um Finger, die pieken können, daher wäre die Schreibweise mit "ie" korrekt. Absatzfehler im 2. Gedicht, das Wort "schlief" muss eine Zeile tiefer: "die noch ritzeratze schlief auf der Matratze." |
Inhalt | 9 | Das Buch enthält bekannte Abzählverse und Reime sowie neue "Gedichte". Das Versmaß ist nicht immer rhythmisch, aber insgesamt ist diese Zusammenstellung gelungen. Zu den meisten Reimen wird eine kurze Beschreibung eines passenden (Finger-)Spiels gegeben, welches man mit dem Aufsagen der Verse verbinden kann. |
Pädagogische Themen | 10 | Körperlichkeit Nähe Feinmotorik Sprache Spiel |
Pädagogischer Wert | 10 | Dieses Buch regt dazu an, mit seinen Kindern Finger- und andere Spiele zu spielen, bei denen Kinder sich mit Rhythmus, Bewegung und Fingerübungen beschäftigt sehen, und gleichzeitig die Nähe des Vorlesers/Mitspielers spüren. Diese Spiele sind soziale Erlebnisse, vor allem zwischen Eltern und Kindern, die in vielen Familien noch von den Großeltern weitergegeben werden. Manche werden sich also erinnert fühlen oder gar denken: Für "Hoppe Reiter" brauche ich kein Buch. Andere hatten vielleicht nie so ein Spielerlebnis mit ihren Eltern und Großeltern. Für sie ist die kurze Anleitung unter den Versen sehr hilfreich und anregend. Kinder mögen Reime, gleich klingende Laute, sprachliche Rhythmen und Bewegungen. Auch wenn es einige Erwachsene Überwindung kosten mag: Mit solchen Spielen lassen sich beispielsweise Bus- und Bahnfahrten wunderbar verbringen, und die Kinder werden die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu schätzen wissen. |
Schlüssigkeit/Logik | - | - |
Kreativität | 10 | Tiere, Alltagssituationen, Gegenstände: Es gibt zu nahezu jedem Thema einen passenden Reim. |