Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer machen einen Ausflug

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer machen einen Ausflug, Michael Ende

„Mama? Gehen wir heut spazieren?“ Bittend schaut mein Kind mich an und ich lasse meinen Blick zum Küchenfenster wandern, um das Wetter hinter der Glasscheibe einzuordnen. Die Kategorien „leichter Nieselregen“ und „kurzer Schauer“ fallen weg. Strömender Dauerregen, der sich mit kurzen, aber schlagkräftigen Hagelschauern abwechselt, trifft es eher.

„Es regnet“, sage ich deshalb, und hoffe insgeheim, dass mein Kind dieses Argument den gesamten April über gelten lassen könnte. Tut es aber nicht. Enttäuscht kickt sie gegen ein auf dem Boden liegendes Spielzeug und seufzt. „Blöder Regen. Ich will aber spazieren gehen.“ „Vielleicht später, wenn es aufgehört hat“, vertröste ich sie deshalb.

 

Was hat dieses Kind nur mit Spaziergängen?, frage ich mich manchmal. Hier ist doch nichts besonderes los. Auf jedem Spaziergang sehen wir dasselbe. Die meisten Dorfbewohner verlassen ihre Häuser erst ab Mai, von November bis April sieht man nur an den Lichtern im Fenster und den Autos vor der Tür, dass hier außer uns noch mehr Menschen wohnen.

 

Immerhin findet man ab März mittwochs bei gutem Wetter auch ein paar andere Kinder auf dem Dorfspielplatz, der mit dem Kletterparadies in unserem Garten allerdings kaum noch konkurrieren kann. Heute ist aber kein Mittwoch. Und das Wetter ist gewöhnungsbedürftig. Die Chance, heute auf einem Spaziergang einem anderen Menschen zu begegnen, geht also gen Null.

 

Warum will mein Kind also spazierengehen? Geht es ihr etwa um die Tiere, die man unterwegs sehen könnte? Aber wir haben doch selbst so viele, der ganze Garten ist voller Tiere. Im Rest vom Dorf gibt es auch nicht mehr Tiere, als bei uns zuhause. Okay, wir haben keine Kühe. Der Bauer hat ein paar. Tag für Tag stehen diese Kühe auf ein und derselben Weide und glotzen wie Mama Muhs Stallkameraden in die Gegend. Der Fluss fließt stur in dieselbe Richtung. Was zum Henker ist also so spannend an einem Spaziergang im April?

 

Als der Regen für eine Minute Luft holt, schaut mein Kind zufällig aus dem Kinderzimmerfenster. Oder hat es etwa die ganze Zeit am Fenster gesessen, um den Regen wegzugucken? Jedenfalls kommt es jetzt aufgeregt die Treppe herabgestürmt: „Es hat aufgehört, zu regnen!“ Flink zieht sie sich Turnschuhe über die blanken Füße und wirft sich die Jacke über das Prinzessinnenkleid. „Jetzt können wir spazierengehen“, strahlt sie mich an.

 

Seufzend richte ich mein Haar und mich auf. „In Ordnung, hol deinen Bruder“, sage ich. „Wir machen einen Spaziergang.“ „Jaaaaaa, tierdang!“ ruft der Lütte, und hält mir auffordernd seine Schuhe unter die Nase. Als ich beide Kinder in wetterfeste Sachen verpackt und den Hund angeleint habe, bricht doch tatsächlich ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Jetzt hab auch ich ein bisschen Lust, rauszugehen. Na dann: Machen wir einen Ausflug durch das Dorf, und schaun, was es so zu sehen gibt. Wahrscheinlich genau dasselbe, wie gestern, aber was soll’s.

 

Kurzrezension

Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer wohnen auf einer kleinen Insel namens Lummerland. Aber wem erzähl ich das? Sollte es tatsächlich Eltern und Kinder geben, die die Insel mit zwei Bergen und ihre fünf sympathischen wie eigenartigen Bewohner plus Eisenbahn noch nicht kennen? Na, dann ist diese Geschichte genau die richtige, um alle kennenzulernen.

Da ist zum einen Jim Knopf, ein kleiner Junge mit einem Knopf am Hosenboden (wieso, das wird in dieser Geschichte einleuchtend dargelegt), der sich nichts sehnlicher wünscht, als eines Tages Lokomotivführer zu werden. Wie sein Freund Lukas. Der hat eine eigene Lokomotive, die dicke Emma. Und mit der machen Jim und Lukas heute einen Ausflug über ganz Lummerland, durch alle fünf Tunnel und um die beiden Berge herum.

Dabei besuchen sie den vielbeschäftigten König Alfons, den Viertel-vor-Zwölften, der immer telefonieren muss, und begegnen dem höflichen Herrn Ärmel mit seinem Regenschirm vor seinem gewöhnlichem Haus. Außerdem machen sie ein Picknick auf einem der beiden Berge, denn die liebe Frau Waas vom Kaufmannsladen, bei der Jim wohnt, packt ihnen für den Ausflug leckere Butterbrote und gekochte Eier ein.

Das Wetter ist schön und der Ausflug schon allein deshalb sehr gelungen. Am Ende fahren Emma, Jim und Lukas noch einmal durch alle Tunnel und um die Berge herum, lassen dann den Tag am Strand von Lummerland ausklingen und sehen sich den Sonnenuntergang an.

Dieser Ausflug ist wahnsinnig ereignislos und unspektakulär. Und dennoch trifft die Geschichte mitten ins Herz, denn sie zeigt uns, dass es die kleinen, alltäglichen Dinge sind, die das Leben nahezu perfekt machen: Butterbrote, Sonnenuntergänge und ausgesprochen freundliche Konversationen.

Michael Endes Humor ist erfrischend anders und mir als vorlesendem Elternteil bleibt vor allem der letzte Wortwechsel der beiden Freunde im Gedächtnis: „War das schön!“, sagt Jim und seufzt. „Können wir morgen wieder einen Ausflug machen?“ „Warum nicht?“, sagt Lukas und lacht.

So wie Lukas sollte ich also reagieren, wenn mein Kind mich morgen wieder um einen Spaziergang bittet – auch wenn wir hier nicht ganz so tolles Wetter haben, wie die Freunde auf Lummerland. Und auch keinen einzigen Tunnel. Dafür haben wir Kühe. Das ist ja auch schonmal was.

Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten

Daten zum Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer machen einen Ausflug“

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer machen einen Ausflug
Autor: Michael Ende
Verlag: Thienemann
Jahr/Auflage: 2005

ISBN: 352-2434803

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer machen einen Ausflug

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10Hardcover
quadratisch
fröhlich-bunte, doppelseitige Zeichnungen, sympathische Figuren, praktische Pin-Bilder zur Ergänzung und Veranschaulichung der Details
Text/Sprache10Die Sprache von Michael Ende ist herrlich kindgerecht und es bringt einfach Spaß, diese Geschichte vorzulesen.
Inhalt10Es ist ein schöner Tag auf der Insel Lummerland, und so beschließen Jim Knopf und sein Freund Lukas, der Lokomotivführer, einen Ausflug zu machen. Was sie dabei sehen und erleben ist so simpel und alltäglich und doch so lustig und schön, dass man automatisch selbst Lust bekommt, auf die alte Dampflok zu steigen und durch ein paar Tunnels zu fahren.
Pädagogische Themen9Freundschaft
Hilfsbereitschaft
die einfachen Dinge des Lebens schätzen lernen
Pädagogischer Wert9Jim und Lukas zeigen uns, wie schön es sein kann, einfach einmal einen Ausflug zu machen, Freunde zu besuchen, Butterbrote zu essen und der Sonne beim Untergehen zuzuschauen.
Schlüssigkeit/Logik-
Kreativität10