Ich hab euch beide lieb!

Ich hab Euch beide lieb!

Ich hab Euch beide lieb!, Claire Masurel, Kady MacDonald Denton

„Ich hab euch beide lieb!“, im Original „Two Homes“, von Claire Masurel betrachtet das Thema getrennt lebender Eltern aus der Sicht des Kindes auf seinen Alltag mit dem doppelten Zuhause.

Kurzrezension

Der Untertitel der deutschsprachigen Ausgabe „Wenn Eltern sich getrennt haben“ führt ein wenig in die irre. Dieses Buch spricht mit keinem Wort über die Trennung der Eltern oder das vorherige Zusammenleben der ganzen Familie. Demnach macht Anna eher den Eindruck, als sei es bei ihren Eltern immer schon so gewesen, dass sie in zwei getrennten Wohnungen / Häusern gelebt haben. Das ist durchaus ein Spiegel einer Realität, in der sich viele Paare schon vor der Geburt ihres Kindes trennen oder gar nicht erst als Paar leben. Anna jedenfalls pendelt im Alltag zwischen dem Zuhause bei Mama und dem Zuhause bei Papa.

Um es vorweg zu nehmen: In diesem Buch geht es einzig und allein darum, aufzuzeigen, dass ein Kind sich auch wohlfühlen und glücklich sein kann, wenn die Eltern nicht zusammen wohnen. Für Anna ist dies eine Selbstverständlichkeit. Wir erfahren gar nicht, ob ihre Eltern je zusammengelebt haben und ob es in einem großen Krach auseinander ging. Der Leser erfährt auch nichts darüber, wie die Eltern von Anna gegenwärtig zueinander stehen. Das ist gewollt und absolut in Ordnung.
Der Fokus dieser Geschichte ist darauf gerichtet, wie Anna sich mit ihren beiden Heimatorten fühlt. Diese könnten unterschiedlicher kaum sein. Papa wohnt ländlich in einem Haus am Meer und hat einen Hund. Mama wohnt in einer Stadtwohnung mit Balkon und in ihrem Kinderzimmer bei Mama steht kein Hochbett, aber dafür ein Aquarium mit Fischen. Diese Unterschiede beschreibt Anna nicht, denn die Geschichte wird in einfachen Sätzen erzählt, die sich auf das Wesentliche konzentrieren. Alle Details erfährt man aus den Bildern. Und auf den Bildern sehen alle glücklich und zufrieden aus: Mama, Papa, Anna, ihre Freunde – für alle ist es gut, so wie es ist.

Das Buch „Ich hab euch beide lieb!“ räumt auf mit dem Klischee des armen, gestressten und dauerhaft leidenden Scheidungskindes und betont die spannenden und schönen Seiten, die auch im Leben eines Kindes von getrennt lebenden Eltern zu sehen sein können. Anna hat viel exklusive Zeit nur mit Papa und nur mit Mama. Beide Elternteile sind ganz unterschiedlich, und Anna hat beide sehr lieb.

Abgesehen von dem irreführenden Untertitel weist dieses Buch darauf hin, worauf es bei getrennt lebenden oder sich trennenden Eltern vor allem ankommt: Dass sie ihr Kind spüren lassen, dass auch sie es immer lieben, egal, wo sie sind und egal, wo ihr Kind gerade ist. Anna weiß das und deshalb ist ihre Welt in Ordnung.

Nun gibt es im deutschen Sprachgebrauch keinen Plural von Zuhause, sodass man sich wohl gegen eine wörtliche Übersetzung des Titels entschieden hat. „Ich hab euch beide lieb!“ ist allerdings eine sehr aktive Botschaft, die vom Kind an die Eltern gerichtet wird. Vielleicht ist dieses Buch daher auch eher als Hilfestellung für Eltern zu sehen, die ihre Kinder auf eine Trennung vorbereiten müssen oder sie in der Trennung begleiten wollen. Denn Anna erinnert Eltern auf jeder Seite dieser Geschichte daran, dass sich die Entscheidungen von Eltern über ihren Lebensstil unmittelbar auf das Leben ihrer Kinder auswirken.

Altersempfehlung: 3-8 Jahre
Vorlesezeit: 5-8 Minuten

Daten zum Buch „Ich hab euch beide lieb!“

Titel: Ich hab euch beide lieb!
Autor: Claire Masurel, Kady MacDonald Denton
Verlag: Brunnen
Jahr/Auflage: 2001

ISBN: 376-5566691

Ich hab Euch beide lieb!

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt9
Titelwahl9Der englische Originaltitel "Two homes" gibt den Inhalt dieses Buches besser wieder. Der Untertitel führt sogar zu anderen Erwartungen, die das Buch gar nicht erfüllt oder erfüllen will: Eine Auseinandersetzung mit der Trennung der Eltern.
Aufmachung9Hardcover
quadratisches Format
ganzseitige und zum Teil doppelseitige Bilder
Diese Zeichnungsart ist natürlich auch Geschmackssache. Hier aber den richtigen Ton zwischen Distanz und Identifikationsfigur zu finden, ist eine Gratwanderung. Annas Geschichte ist sehr weit weg vom Wohlgefühl eines Kindes, dass mit beiden Eltern zusammenlebt. Und dennoch kann sie für jedes Kind ganz schnell real werden. Dies in Bildern fassbar zu machen, ist der Illustratorin ganz gut gelungen.
Text/Sprache10Die Sätze sind einfach und daher gut für Erstleser geschrieben. Zum Vorlesen eignet sich das Buch auch schon für jüngere Kinder.
Inhalt9Anna hat zweimal ein Zuhause: eines bei Mama und eines bei Papa. Bei beiden ist sie gern. Sie hat jeweils ein eigenes Zimmer und Freunde und obwohl es bei Papa ganz anders ist, als bei Mama, gibt es doch viele Gemeinsamkeiten dieser beiden Orte. Die wichtigste ist die, dass Anna ihre Mama und ihren Papa beide gleich lieb hat, egal, wo sie ist. Und Annas Eltern haben Anna lieb, egal wo sie ist und egal wo sie sind.
Pädagogische Themen10Scheidungskind
getrennte Wohnungen
Elternliebe trotz Trennung
Pädagogischer Wert9Für Anna stehen die positiven Seiten ihrer Familiensituation im Vordergrund. In dieser Geschichte wird weder darauf eingegangen, wann und wie es zur Trennung der Eltern kam, noch, wie die Eltern miteinander auskommen. Einzig Annas Verhältnis zu ihren Eltern und Annas Alltag in den beiden Lebensräumen wird behandelt. Der positive Blick auf das doppelte Zuhause macht Mut. Aber der Untertitel "Wenn Eltern sich getrennt haben" lässt eine Auseinandersetzung mit der Trennung erwarten. Diese findet nicht statt. Das sieht in der Realität anders aus, denn Kinder finden sich oftmals leichter mit vollzogenen Trennungen zurecht, als mit allem, was ihr voraus geht.
Schlüssigkeit/Logik9Anna ist oft bei Papa und oft bei Mama. Das klingt sehr gleichmäßig, doch die Realität sieht anders aus. Oft bleibt der Alltag einem Elternteil vorbehalten, während der andere Elternteil Wochenend-, Ferien- und Eventzeit mit den Kindern verbringt. Die Leichtigkeit, mit der Anna die positiven Seiten ihrer zerrissenen Familie hervorhebt und keinerlei Raum für Trübsinn und Traurigkeit lässt, ist gut gemeint, aber wohl leider kaum zu verwirklichen.
Kreativität10