In vielen Kindergärten startet mit dem Neuen Jahr auch das Vorschulprogramm für die Kinder, die im Sommer zur Schule kommen werden. Die Zeit vor der Einschulung ist geprägt von Aufregung, Neu- und Wissbegierde, Vorfreude, aber auch Unsicherheiten oder sogar Ängsten.
Kurzrezension
Ein positiv formulierter Titel, ein Ausrufezeichen und ein Vorwort von Katharina Saalfrank haben mich zugreifen lassen in der örtlichen Leihbibliothek. Und tatsächlich geht Frau Saalfrank sehr gut auf das Thema Vorschule, Vorfreude und nötige Vorbereitungen für die Einschulung sowie auf Unsicherheiten und mögliche Ängste ein.
Leider aber bringt das Vorlesen dieses Buches genau das hervor, was es eigentlich nehmen sollte: Unsicherheit, ja sogar Ängste, die vorher gar nicht dagewesen sind. Jedenfalls bei meinem Kind. Denn es ist, wie die meisten Vorschulkinder, neugierig auf die Schule und stolz, groß geworden zu sein. Selten habe ich es deshalb so bereut, ein Buch nicht vorab allein, sondern direkt mit meinen Kindern gelesen zu haben.
Sicher ist dieses Buch gut gemeint. Aber es funktioniert nicht in der gedachten Weise. Da sind zunächst einmal die Zeichnungen: Die Gesichter der Figuren sind nicht besonders hübsch oder sympathisch und vor allem nicht sehr individuell. Man könnte sie zwischen den Figuren hin- und her tauschen und würde kaum einen Unterschied merken.
Dann der Aufbau der Geschichte: Unterteilt wird sie in mehrere Episoden. Allerdings merkt man erst beim Lesen, dass man bereits eine Episode weitergekommen ist, denn es fehlen kennzeichnende Überschriften.
Alles beginnt mit der Abschiedsfeier im Kindergarten. Die ist sehr traurig. Dann folgt ein Eisdielenbesuch mit Oma und Opa. Die Kinder vom Nachbartisch mischen sich ungefragt in das Gespräch ein und lästern über die Schule und die Lehrer. In der nächsten Episode ist Kristina zuhause und ihr großer Bruder erzählt nur Negatives über die Schule. Trotzdem will er aufs Gymnasium. Warum er auch manchmal gern zur Schule geht, sagt er nicht. Sie spielen ein Spiel, weil er nicht mehr an die Schule denken will.
Auf der nächsten Seite bringt Papa Kristina ins Bett. Aha, neue Episode. Kristina macht sich mächtig Sorgen, bespricht diese mit ihren Kuscheltieren und steht schließlich wieder auf. Sie geht zu ihrem Vater und stellt sich mit Mamas Schuhen groß, weil sie dann „länger aufbleiben darf“. Sie teilt ihrem Vater ihre Sorgen und Ängste mit: Dass die Klasse zu groß ist und sie vielleicht nicht gesehen wird, wenn sie etwas sagen will, dass sie bestimmt nicht auf Toilette darf und dass es in den Pausen zu laut ist und die großen Kinder bestimmt die kleinen ärgern. Außerdem kommt ihr bester Freund Tim nicht in ihre Klasse. Oder doch? Mama und Papa meinen, vielleicht klappt es doch. Das Gespräch ist sehr langatmig und müßig vorzulesen und die positiven Einwürfe der Eltern kommen beim Zuhörer einfach nicht an. Es sind Worte. Gegenteilige Erlebnisse wären besser. Plötzlich kommt der große Bruder und erklärt, dass er sie beschützen wird und die Schule eigentlich ganz gut findet. Er wollte bloß nicht als Streber dastehen. Klar. Deshalb hat er lieber seiner Schwester Angst gemacht.
Kristina lässt sich – plötzlich wieder Kleinkind – zurück ins Bett bringen, freut sich auf den Ranzenkauf und hat immer noch Angst – wenn auch nicht mehr so viel. Mein zuhörendes Kind hat inzwischen Ängste, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie geben kann: Zu laute Kinder in der Pause? Hallo?
Die nächste Episode ist dann auch schon der erste Schultag: Eine Doppelseite. Bisschen wenig für ein Buch mit dem Titel „Heute fängt die Schule an“. Jedenfalls sind alle nett, alles ist gut und ihr bester Freund sitzt neben Kristina. Problem gelöst, umsonst Ängste geschürt. Oder? Denn viel mehr von der Schule erfährt man nicht.
Das Buch konzentriert sich darauf, die Vorfreude zu verderben. Sätze wie „Kristina nickt, obwohl sie viel lieber im Kindergarten bleiben würde“, „Warum soll’s dir besser gehen, als uns“, „Die Ferien sind das einzig Gute an der Schule“, „Ich will nicht mehr an die Schule denken“, Erzählungen von strengen, böse guckenden Lehrern, Berichte von mangelnder Spielzeit und zu vielen Hausaufgaben, die Befürchtung, der beste Freund käme in eine andere Klasse – das alles baut dieses Buch an Ängsten über mehrere Seiten auf. Und am Ende soll eine Doppelseite das wieder geradebiegen?
Dass nur wenige Tage nach der Kindergartenabschiedsfeier der Schulbeginn ist – ganz ohne Sommerferien – und der Ranzen erst einen Tag vorher gekauft wird, ist zudem nicht sehr realistisch.
Das Buch schließt ab mit zehn Tipps von Frau Saalfrank für die Eltern. Sie beschreibt, wie sie Ängsten der Kinder vorbeugen oder einfühlsam auf diese eingehen können. Ich füge den zehn Tipps einen weiteren hinzu: Hände weg von der Vorlesegeschichte um Kristina und Tim. Denn das Buch, das mit einem sehr guten Vorwort beginnt und mit ebenso guten Ratschlägen endet, befolgt dieseTipps leider selbst nicht besonders gut. Schade.
Altersempfehlung: 5-7 Jahre
Vorlesezeit: 20 Minuten
Daten zum Buch „Heute fängt die Schule an“
Titel: Heute fängt die Schule an
Autor: Achim Bröger
Verlag: cbj
Jahr/Auflage: 2010/1.
ISBN: 978-3570138489
Heute fängt die Schule an!
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
---|---|---|
Punkte gesamt | 6 | |
Titelwahl | 6 | Irreführend. Tatsächlich Schule findet nur auf der letzten Doppelseite der Geschichte statt. |
Aufmachung | 7 | Die Figuren sind leider nicht sehr sympathisch gezeichnet und verstärken daher leider das entstehende mulmige Gefühl beim Thema Schule. Das eigentlich positiv wirkende Cover wird in der Geschichte nicht aufgenommen. |
Text/Sprache | 8 | Die Sprache ist verständlich und die Textlänge eigentlich in Ordnung. Dadurch aber, das wenig geschieht und alles nur übe Fragen und Erklärungen oder Statements/Bewertungen vermittelt wird, wird die Geschichte stellenweise sehr langatmig. |
Inhalt | 6 | Kristina und Tim feiern Abschied vom Kindergarten. Das dies tatsächlich ein Grund zum Feiern ist, kommt aber niemandem in den Sinn, denn Kristina hat Ängste und Sorgen und Opa, fremde Kinder und auch der eigene Bruder bauen zusätzliche Ängste in ihr auf. Nach vielen sehr konstruierten Gesprächen findet die Einschulung statt, die ganz gut verläuft. |
Pädagogische Themen | 10 | Einschulung Vrofreude Neugier Angst Sorgen Unsicherheit |
Pädagogischer Wert | 8 | Das Vorwort und die Tipps für die Eltern sind sehr gut. |
Schlüssigkeit/Logik | 5 | Gut gemeint, aber leider schürt das Buch Ängste, obwohl es eigentlich die Intention hat, selbige aufzulösen. |
Kreativität | 6 | Weder die Situationen noch die Figuren noch die Zeichnungen sind besonders neu oder individuell. |