„Mama, heute war Mia nicht meine Freundin“, erklärt mein Kind mir auf dem Heimweg vom Kindergarten. „Echt nicht? Aber ich hab Euch doch grad noch zusammen spielen gesehen?“ „Ja, jetzt sind wir ja auch wieder befreundet. Aber vorhin, da war sie nicht meine Freundin.“
Eigentlich sollte es mich nicht mehr wundern, aber die Zeitabstände, in denen Freundschaften zerbrechen und wieder in Ordnung sind, sind manchmal so überraschend kurz, da komm ich einfach nicht mehr hinterher. Neulich standen wir Mütter der Clique, in der sich mein Kind gefühlt seit dem ersten Kindergartentag befindet, so zusammen und warteten darauf, dass die Kinder ihre Sandkuchen fertig hatten und bereit waren, mit uns heim zu kommen. Während Kind A gerade seiner Mutter erklärt, dass B ab sofort nicht mehr mit ihm und meinem Kind spielen darf, erklärt mein Kind mir ganz selbstverständlich, dass Kind A, B und C heute nachmittag zu uns zum Spielen kämen.
Freilich wissen Mutter A, B und C davon noch gar nichts, aber das ist auch nicht so wichtig, denn sowohl das „nicht mehr mit Kind B spielen“ als auch das „heute nachmittag spielen“ sind mit vier Jahren noch sehr ambivalent aufzufassen. Die Kinder drücken ihre Gefühle noch in Echtzeit aus, und zwar alle auf einmal. Nach einem Vormittag im Kindergarten präsentiert mir mein Kind oft nicht nur die Gefühle und die Erlebnisse der letzten Stunden so, als würden sie gerade jetzt empfunden und erlebt werden. Es kommt auch durchaus vor, dass Gefühle oder Erlebnisse des Vortags mit einfließen in die übersprudelnde Berichterstattung.
Nun kann ich mir die Mühe machen, die Informationen mit denen der anderen Mütter abzugleichen, zu hinterfragen, meinem Kind verwirrende Nachfragen zu stellen und zu versuchen, die Ereignisse und Gefühlslagen in eine ansatzweise verständliche Chronologie zu bringen. Anfangs hatte ich diesen Anspruch tatsächlich. Immerhin war es mein erstes eigenes Vierjähriges.
Meist lass ich es aber inzwischen. Ich beschränke mich darauf, mein Kind abzuholen, es aufzufangen, wenn es sich mir in die Arme wirft, mal lachend, mal weinend, und es von seinen Gefühlen und Erlebnissen berichten zu lassen. Freilich, nagt ein akutes Problem am Kind, suchen wir gemeinsam nach Lösungen. Aber in diesen ersten besten Freundschaften, die mein Kind gerade schließt und erlebt, sind die Gefühle so intensiv wie unterschiedlich, und das oft innerhalb von Minuten. Statt zu versuchen, das nachzuvollziehen, begnüge ich mich damit, mich darüber zu freuen, dass das Kind diese Erfahrungen machen kann. Meist sind sie zum Glück positiv, oft witzig und die dramatischsten aller Probleme und Streits lösen sich oft ganz ohne mein Zutun und meist, bevor ich überhaupt im Kindergarten eintreffe.
Es geht aber nichts über die erste beste Freundschaft des Lebens. Einigen glücklichen Menschen bleibt diese beste Freundschaft sogar ein Leben lang erhalten, manchen zumindest über Jahrzehnte. Natürlich nicht mit einer durchgehenden Intensität, aber doch mit einer Verlässlichkeit, auf die man vertrauen und bauen kann. Ich habe das Glück, ein paar sehr beständige Freundschaften erleben zu dürfen, mit all ihren Höhen und Tiefen. Und das wünsche ich meinen Kindern auch.
Das Buch der Woche, „Freundinnen“, von den bei uns immer beliebter werdenden Rieckhoffs, erzählt uns von Rosa, deren Freundschaft zu Linda ihre Gefühls- und Gedankenwelt eines Tages ganz schön durcheinanderwirbelt.
Kurzrezension
Linda und Rosa sind beste Freundinnen, wie sie im Buche stehn. Doch dann taucht plötzlich diese Henriette auf, und alle wollen mit ihr spielen. Sie kann sich ihre Freunde aussuchen, und dann passiert’s: Eines Tages sucht sich Henriette ausgerechnet Linda als Spielkamerad aus und Rosa muss sehen, wo sie bleibt. Sie will aber weder mit Paul, noch mit anderen spielen, sie will Linda zurück.
Rosas Gefühle und Gedanken gehen uns allen gut bekannte Wege, von Wut und Traurigkeit über Rachegelüste bis zu Trotzreaktion ist alles dabei.
Vor allem aber hat Rosa Angst: Was ist, wenn Linda nie wieder mit ihr spielen will? Rosa bekommt Bauchschmerzen, so traurig ist sie. Soll sie Henriette auf den Mond schießen? Oder soll sie lieber etwas Besonderes machen, etwas Heldenhaftes, etwas, damit Linda erkennt, dass Rosa die viel bessere Freundin ist? Zunächst aber entschließt sich die wütende Rosa erst einmal dazu, dieser Henriette ihre Meinung zu sagen, kurz und knapp, mit einem kräftigen und lauten „Bääh!“
Und dann geht sie doch zu den anderen Kindern zum Spielen. Sie will nun abwarten, was Linda denn machen wird, um sie als Freundin zurückzugewinnen. Und siehe da: Linda kommt tatsächlich schon am nächsten Tag wie eh und je zu Rosa. Aber sie bettelt nicht und sie entschuldigt sich nicht – sie ist einfach nur da und will mit Rosa spielen. Letztlich muss Rosa gar nichts anderes machen, als auf ihre Freundschaft zu Linda vertrauen. Denn so schnell treibt keiner einen Keil zwischen die beiden – schon gar nicht eine Henriette. Und deswegen ist es auch in Ordnung, wenn die drei Mädchen am Ende sogar alle zusammen spielen.
Altersempfehlung: 3-6 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten
Daten zum Buch „Freundinnen“
Titel: Freundinnen
Autor: Sibylle Rieckhoff, Jürgen Rieckhoff
Verlag: Lappan
Jahr/Auflage: 2006
ISBN: 978-3830311096
Freundinnen
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover fröhliche Farben und Zeichnungen, die die rasanten Gefühlsschwankungen der Kinder sehr gut darstellen |
Text/Sprache | 10 | Der Text liest sich flüssig und zügig, die Gedankenwelt der kleinen Rosa wird sehr gut in einfache Worte gefasst und wiedergespiegelt. Einige besonders groß und schrill gedruckte Worte/Ausrufe geben ebenfalls sowohl Leser als auch Vorleser eine Hilfestellung für besonders emotionales und ausdrucksstarkes Lesen des Textes. |
Inhalt | 10 | Rosa und Linda sind Freundinnen. Doch dann taucht Henriette auf, und irgendwie wollen plötzlich alle mit ihr spielen. Sogar Linda. Rosa muss zugucken, wie Henriette mit ihrer besten Freundin loszieht und ihre Gefühle und Gedanken werden ganz aufgewühlt. Rosa überlegt, was sie machen kann, ob sie sich rächen oder eine Heldin werden muss, um Linda zurückzugewinnen. Doch dann löst sich Rosas Problem plötzlich von ganz allein. |
Pädagogische Themen | 10 | Freundschaft Eifersucht Angst Trotz Wut Kindergarten |
Pädagogischer Wert | 10 | Mit viel Witz und Tempo erzählen die Rieckhoffs hier die Geschichte einer Freundschaft, die die ganze Spannbreite kindlicher Gefühle in Bild und Wort authentisch und unterhaltsam wiederspiegelt. |
Schlüssigkeit/Logik | 9 | Warum die Kinder am Ende zu dritt spielen, hätte gern in ein paar Worten hergeleitet werden können. |
Kreativität | 10 |