Der kleine König will keinen Kuss

Der kleine König will keinen Kuss

Der kleine König will keinen Kuss, Hedwig Munck

„Oooch, wie niedlich, wie alt ist er denn? Dutzidutzidutzi.“

„Er ist ein Mädchen und Sie fragen bitte, bevor Sie mein Kind anfassen.“

Na, wiedererkannt? Diese Situation, wenn man mit seinem Kind unterwegs ist und wildfremde Menschen in den Kinderwagen stieren oder gar greifen, ohne Respekt, ohne die Idee eines angemessenen Höflichkeitsabstandes, ohne zu fragen?

Und? Wie hast du reagiert? Ähnlich wie oben, höflich aber bestimmt? Oder doch eher zugesehen dabei, wie dem eigenen Kind eine mehr oder weniger gewaschene Hand durchs Gesicht fährt?

Woher kommt das bloß, dieses Recht, dass sich manche Menschen herausnehmen, Kinder einfach ungefragt anzufassen, zu drücken, auf den Arm zu nehmen oder gar zu küssen? Ohne nach dem Willen des Kindes zu fragen oder sogar ihn bewusst übergehend?

Ich suche mir selbst aus, wen ich küsse und von wem ich mich küssen lasse. Und abgesehen von ein paar besonders aufdringlichen angetrunkenen Menschen in Diskotheken halten sich auch die meisten Leute an meine unausgesprochenen oder ausgesprochenen Grenzen. Aber was für Erwachsene selbstverständlich ist, gilt offenbar weder für Kinder, noch für Hunde. Jene werden einfach ungefragt geherzt, gestreichelt oder geküsst. Nun sind ja grundsätzlich eine Umarmung und ein Kuss etwas oftmals sehr Schönes und immer gut Gemeintes. Aber das ist Nusskuchen auch, und trotzdem ist er für Allergiker hochgefährlich.

Ein aufgezwängter Kuss nun mag nichts Lebensgefährliches sein, wenn er nicht gerade ein ebensolches Virus überträgt. Aber aufgezwängte körperliche Nähe kann für Kinder seelisch eine Katastrophe bedeuten. Wie sollen sie denn lernen, zu äußern, was sie nicht wollen, wenn sie schon im Familienkreis oft gar nicht danach gefragt werden? Wenn wir Eltern uns nicht vor sie stellen und sie vor übergriffigen Handlungen Fremder, und mögen sie noch so gut gemeint sein, schützen?

Ein Kind hat das Recht, sich selbst auszusuchen, mit wem es körperliche Nähe teilt und von wem es sich küssen lässt. Und auch, wann.

Wenn mein Kind nachts zu uns ins Bett kommt, weil es nicht allein wieder einschlafen will, weil es krank ist oder mies geträumt hat – dann will es meistens kuscheln. Aber eben nur meistens. Ich war ganz schön baff, als ich neulich meinem Kind beruhigend den Rücken kraulen wollte und ein „Mama, lass das bitte“ zu hören bekam. „Ich soll dich nicht anfassen?“ „Nein.“ Okay. Natürlich muss ich da als Mama erst einmal schlucken. Aber was für eine Mutter wäre ich, wenn ich das nun übergehen und mein Kind trotzdem umarmen würde?

Wenn ich möchte, dass meine Kinder sich gegen ungewünschtes Verhalten Erwachsener zur Wehr setzen können und sagen, wenn sie etwas nicht möchten, dann muss ich ihnen vom ersten Tag an die Sicherheit geben, dass ihre Grenzen respektiert werden. Und da, wo sie noch keine Grenzen setzen können, muss ich es für sie tun. Also: Hände und Lippen weg von meinen Kindern! Sonst hole ich den Hund!

Kurzrezension

Der kleine König steckt in einem Dilemma. Er mag Tante Röschen. Und vor allem mag er Tante Röschens Kuchen und Geschenke, die sie immer mitbringt, wenn sie zu Besuch kommt. Aber was der kleine König überhaupt nicht mag, sind Tante Röschens Umarmungen und Küsse.

Als sich nun der Besuch der Tante ankündigt, überlegen er und sein Teddy, wie sie sich den Küssen entziehen können. Sie werden dabei äußerst kreativ, finden aber immer wieder einen Haken in ihren Plänen. Auch die Freunde des kleinen Königs wollen nicht für ihn die Küsse übernehmen. Dann taucht die Tante auf und gibt vor, krank zu sein. Angesichts der Pflegearbeit, die nun auf ihn zukommt, überlegt der kleine König gerade, ob Küssen wohl nicht das geringere Übel gewesen wäre. Da springt die Tante auf, ruft „Reingelegt“ und ehe sie sich verstecken können, werden der kleine König und alle seine Freunde pitschnass abgebusselt.

Der Kuchen und die Geschenke trösten den kleinen König zwar schnell darüber hinweg und dann spielen alle vergnügt den ganzen Tag zusammen – aber oh weh! Zum Schluss gibt Tante Röschen allen noch einen Abschiedskuss. Und alle sind sich einig: Wenn Tante Röschen wiederkommt, ziehen sie sich eine eiserne Rüstung mit Gesichtsschutz an, denn nur so offenbar können sie den ungewünschten Küssen entkommen.

Mit Witz und Herz und der gewohnten Kreativität erzählt und zeichnet Hedwig Munck die Geschichte vom kleinen König, den mein Kind hauptsächlich als regelmäßigen Protagonisten beim Sandmännchen-Abendgruß kennt. Auch wenn mir seine Stimme beim Vorlesen nicht so gut gelingt, wie dem Sprecher im TV, macht es doch Kind und Vorleser einen großen Spaß, mit dem kleinen König und seinen Freunden zu überlegen, wie man feuchte Küsse vermeiden kann. Und ganz nebenbei bietet das Büchlein eine witzige und anschauliche Gelegenheit, mit seinem Kind ein Thema anzusprechen, das elementar wichtig für die Entfaltung seiner Persönlichkeit ist: Setze Deine eigenen Grenzen und habe den Mut, diese auch in der Familie auszusprechen. Es ist dein Körper. Du entscheidest, wer dich wann herzen und küssen darf.

Und so ein unerwartet hilfreiches Büchlein findet man ganz nebenbei als Viererpack im Wochenangebot seines Supermarktes.

Altersempfehlung: 2-7 Jahre
Vorlesezeit: 6 Minuten

Daten zum Buch „Der kleine König will keinen Kuss“

Titel: Der kleine König will keinen Kuss
Autor: Hedwig Munck
Verlag: tandem Verlag, Meine bunte Bücherwelt / Original: ellermann
Jahr/Auflage: (2016) genehmigte Sonderausgabe

ISBN: 978-3842713192

Der kleine König will keinen Kuss

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10broschiert
dünnes kleines Heft mit farbenfrohen, kindgerechten Zeichnungen
Text/Sprache9Die Sprache ist kindgerechtm der Satzbau nicht zu kompliziert. Die Geschichte eignet sich auch von der Länge her gut zum Vorlesen. Teilweise ist der Text etwas lautmalerisch, was eine Herausforderung darstellt. Denn keine kann das Wiehern und Brummen, das Schmatzen und Kichern so gut vorlesen, wie es in der TV-Umsetzung der Geschichten vom kleinen König gesprochen wird.
Inhalt10Der kleine König ist zwiegespalten: Einerseits sind Besuche von Tante Röschen toll, sie bringt Kuchen und Geschenke mit. Wenn da nur nicht andererseits diese fürchterlichen Umarmungen und nassen Küsse wären, die sie ihm aufzwingt. Deshalb überlegen Teddy und der kleine König sich, wie sie bei dem angekündigten Besuch die Küsserei vermeiden könnten. Sie haben viele geniale Ideen, doch bei der Umsetzung fallen ihnen dann immer wieder Gründe ein, weshalb die Ideen doch nicht so genial sind. Dann erscheint die Knutschtante, doch es kommt alles anders, als gedacht: Tante Röschen ist krank und möchte gepflegt werden. Das gefällt dem kleinen König nun noch weniger als die Küsserei, doch er macht sich gleich an die Arbeit und bringt der Tante einen Tee. Da ruft diese "Reingelegt", entpuppt sich als kerngesund und knutscht und knuddelt nicht nur den kleinen König, sondern auch alle seine Freunde. Nach dieser anstrengenden Prozedur gibt es endlich Kuchen und Geschenke. Eigentlich nahm der Tag doch ein gutes Ende - wenn da nicht plötzlich noch der Abschiedskuss gekommen wäre...
Pädagogische Themen10Übergriffigkeit Erwachsener gegenüber Kindern
eigene Grenzen formulieren
Familie
Liebe gegen Geschenke
Pädagogischer Wert9Der kleine König weiß ganz genau, dass er keinen Kuss von tante Röschen möchte. Leider weiß er offenbar nicht, wie er es ihr sagen soll, und so überlegt er sich mit seinem Teddy lieber ein paar Tricks, um dem angekündigten Tantenbesuch samt Küssen vorzubeugen. Den Kuchen und die Geschenke möchte der kleine König freilich gerne bekommen, aber muss er sich deshalb wirklich küssen lassen? Das Buch bietet eine lockere Einleitung für Gespräche zu einem wichtigen Thema: Das Recht des Kindes auf seine eigenen körperlichen Grenzen und die Problematik "erkaufter" Liebesbekundungen.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10