Wohin mit meiner Wut?

Wohin mit meiner Wut? Dagmar Geisler

Als Kind habe ich sehr gerne Comics gelesen. Und ich habe sehr gerne über die onomatopoetischen Ausdrücke gelacht. Inzwischen lese ich keine Comics mehr. Aber ich habe manchmal das Gefühl, in einem zu leben. Ein Kind in der Autonomiephase, das andere in der Zahnlückenpubertät – da macht es um mich herum fast durchgehend „Krach, bumm, schepper, waahhhh“- und vor allem: „Heul“.

Bei uns zuhause ist es selten leise. Wir schieben das ganz selbstverständlich auf die Gegenwart von Kindern. Sie singen, lachen, toben, werfen Dinge durch die Gegend, geben Musikkonzerte auf Kochtöpfen oder drehen den Rekorder mit dem aktuellen Lieblingshörspiel bis zum Anschlag auf. Ich gebe es zu, ich bezeichne meine Kinder an manchen Tagen ganz schamlos als pure Lärmbelästigung.

Doch alle Spiel- und Freudengeräusche sind nichts gegen die Lautstärke jener Töne, die aus unbändiger Wut aus dem Kinderzimmer erschallen: Gekreische, Schreie, kraftvoll auf den Boden geworfene Spielsachen und Schmerzlaute, die auf eine handfeste Geschwisterkeilerei hindeuten.

Ich habe nichts gegen Gefühlsäußerungen, solange dabei nichts und niemand beschädigt wird. Doch gerade Wut ist ein so heftiges und abrupt auftretendes Gefühl, dass es größter Anstrengung und Selbstbeherrschung bedarf, es zu lenken oder gar zu kontrollieren.

Mal ganz ehrlich: Wie viele Erwachsene haben Probleme mit der Selbstbeherrschung? Genau.

Und deshalb ist es ziemlich absurd, von kleinen Kindern, die ihre Gefühle gerade entwickeln und nach und nach kennenlernen, zu erwarten, diese zu beherrschen. Kinder lassen, wenn man sie lässt, ihren Gefühlen freien Lauf. Das ist nicht immer einfach für ihr Umfeld, aber für die Seele, das möchte ich mal behaupten, sehr gesund. Nicht ohne Grund können Kinder von jetzt auf gleich aus einem total mies begonnenen Tag heraus ein fröhliches Spiel beginnen. Sie lassen ihr schlechtes Gefühl heraus, und schon ist wieder Platz für die positiven Gefühle.

Als Erwachsener steht man dann manchmal staunend bis fassungslos daneben – war der kleine Bruder nicht vor zwei Minuten noch doof, nervig, gemein und überflüssig und wurde kräftig weggeschubst? Und nun spielen die beiden wieder fröhlich lachend und äußerst kreativ Rollenspiele als wäre nichts gewesen und bauen dabei das gesamte Wohnzimmer um.

Wenn ich mich mit meinen Geschwistern streite, läuft das nicht immer so laut ab, wie bei meinen Kindern. Es geht auch nur noch selten etwas dabei zu Bruch. Aber dafür dauert es wesentlich länger, bis wir unsere Missstimmung wieder beseitigt haben und freundlich miteinander umgehen. Noch schlimmer ist die unterdrückte Wut, das Beleidigtsein ohne das Problem anzusprechen. Erwachsene können Missgefühle unglaublich lange mit sich herum- und vor sich hertragen. Kinder hingegen haben Besseres zu tun, als schlechte Gefühle zu hegen und zu pflegen. Sie lassen sie heraus. Sofort und mit aller Kraft.

 

Im Grunde ist die Authentizität und Abruptheit eines Wutausbruchs nichts Negatives. Trotzdem kann es nicht schaden, Vasen und Geschwister vor den emotionalen Ausnahmezuständen in Sicherheit zu bringen – oder noch besser: Gemeinsam ein paar Tricks zu üben, wie man auf die eigene Wut reagieren kann. Und hier kommt unser aktuelles Buch der Woche ins Spiel.

Kurzrezension

Das Buch „Wohin mit meiner Wut?“ ist authentisch und sympathisch aufgebaut. Der Ich-Erzähler, ein kleiner Junge, lässt den Leser anschaulich an seinen Gefühlen teilhaben, beschreibt Situationen, in denen er wütend wird, und erzählt uns, was er dann am liebsten machen würde: schreien, etwas zerreißen oder gar jemanden schlagen. Das ist nicht schön, aber ein Gefühl, das wahrscheinlich jedes Kind und auch sehr viele Erwachsene gut kennen und nachvollziehen können.

Der Junge weiß, dass es nicht in Ordnung wäre, seine Wut an anderen auszulassen. Er weiß auch, dass es Situationen gibt, in denen er einfach nicht genau sagen kann, warum er wütend ist. Und dann nutzt es auch gar nichts, wenn jemand fragt oder gar sagt: „Sei doch nicht so wütend!“

Aber was könnte denn helfen, wenn man wütend ist? Der Ich-Erzähler kennt ein paar Tricks: Man muss niemanden anbrüllen, denn man kann seine Wut auch einfach zum Fenster hinausbrüllen. Und man muss niemanden verprügeln oder gegen etwas treten, wenn man doch auch in ein Kissen boxen und auf den Boden stampfen kann vor Wut. Am besten gefällt uns die Idee, ein Wutmännchen zu malen, und dieses Bild dann nach Herzenslust zu zerfetzen oder als Papierknödel zu schmeißen oder das Wutmännchen zu verbuddeln.

Und wenn man all das gerade nicht tun kann oder möchte, dann sollte man versuchen, einmal ganz tief Luft zu holen. Das beruhigt ungemein.

Jedem kann es passieren, dass er seine Wut an einem anderen auslässt. Dann ist es wichtig, sich zu entschuldigen. Und wenn man selbst einmal die Wut von jemandem abbekommt? Wie fühlt man sich dann und was kann man tun?

Wir entwickeln uns hier stetig weiter zu Dagmar-Geisler-Fans. Und so ist es kein Wunder, dass „Wohin mit meiner Wut?“ zum Buch der Woche wurde. Sehr einleuchtend und ganz ohne Belehrung werden hier Lösungsansätze aufgezeigt. Vor allem aber trägt dieses Buch zwei wichtige Erkenntnisse zu seinen kleinen wie großen Lesern:

  1. Es ist in Ordnung, wenn man wütend ist.
  2. „Die meiste Zeit sind wir eigentlich ganz nett.“

Denn was wir Erwachsenen oft vergessen, aus lauter Ärger oder Sorge über die unkontrollierten Wutausbrüche unserer Kinder, ist: Es kostet sehr viel Kraft und Übung, die eigenen Gefühlsausbrüche so zu lenken, dass sie niemandem weh tun. Und sehr viel Zeit des Tages wüten unsere Kinder eigentlich überhaupt nicht herum, sondern spielen einfach nur fröhlich miteinander.

Altersempfehlung: 5-7 Jahre
Vorlesezeit: 5-7 Minuten

Daten zum Buch „Wohin mit meiner Wut?“

Titel: Wohin mit meiner Wut?
Autor: Dagmar Geisler
Verlag: Loewe
Jahr/Auflage: 2012 / 1.

ISBN: 978-3785575789

Wohin mit meiner Wut?

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10Hardcover
DinA4
Sehr eindrucksvoll gezeichnete Wutausbrüche und Szenen
die Mimik der Figuren ist nachvollziehbar und authentisch und aussagekräftig
Thema wurde zeichnerisch sehr gut umgesetzt
Text/Sprache10Ich-Erzählform
verständlich werden die Situationen und Gefühle beschrieben. Ein paar Sprechblasen und onomatopoetische Worte geben dem Text zusätzliche Wirkung.
Inhalt10Ein kleiner Junge leitet als Ich-Erzähler durch das Buch. Es ist keine richtige Geschichte, die erzählt wird, sondern der Junge schildert Situationen, in denen er wütend wird. Er beschreibt genau, wie er sich dabei fühlt und wie er seine Wut am liebsten herauslassen würde. Doch zum Glück kennt er alternative Handlungsweisen und teilt diese als Anregungen dem Leser mit.
Pädagogische Themen10Wut
Gefühle
Verständnis
soziales Verhalten und Miteinander
sich Vertragen
Pädagogischer Wert10Dieses Buch ist authentisch, verständlich und einfühlsam. Es erlaubt schlechte Gefühle und gibt logische und umsetzbare Tipps zu einem sozialverträglichen Umgang mit Wut.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10