Rocky und seine Bande Band 8 – Enzo im Computerfieber

Rocky und seine Bande – Enzo im Computerfieber, Stephan Valentin, Jean-Claude Gilbert

Auf der Suche nach Geburtstagsgeschenken für meine Große habe ich neulich Senso wiederentdeckt. Senso, nicht Senseo. Keine Kaffeemaschine. Senso war wohl eines der ersten Computerspiele meiner Generation. Verschiedenfarbige Tasten leuchteten in immer wechselnder Reihenfolge auf und der Spieler musste die Farbfolge nachdrücken, anfangs langsam und vier, fünfmal, dann wurde es immer schneller. Es erforderte eine hohe Konzentrationsfähigkeit, sich die Reihenfolge dieser Leuchten zu merken. Es machte Spaß. Und es machte süchtig.

Ich selbst hatte kein Senso. Meine Eltern fanden es pädagogisch unsinnig, unnötig und zu teuer. Aber auf Klassenfahrten und zuhause bei meinen Freunden konnte ich immer mal damit spielen. Später sparte ich mein Taschengeld für insgesamt drei kleine Pocket-Videospiele, in denen ich mit links-rechts-Tasten irgendwelche von einem Raumschiff herabfallende Marsmännchen oder dem Cowboy entsprungene Wildpferde auffangen musste, um möglichst viele Punkte und schwierigere Level zu erreichen. Geschicklichkeitsspiele, die mit ihren Begleitgeräuschen meine Eltern nervten und mein Taschengeld schröpften, weil ich unermüdlich neue Knopfbatterien dafür nachkaufen musste.

Wenn mein Neffe solche Retro-Spiele sehen würde, würde er wohl irritiert die Stirn in Falten legen und sich fragen, was daran so toll gewesen sein soll. Seine Generation wächst mit einer Technik auf, die mein sauer erspartes Pocketgame peinlich berührt hinter den Schrank hüpfen lässt – ach nein, das kann es ja gar nicht. Es kann nur ein Lied abspielen für Gewinner und eines für Verlierer. Das Smartphone meines Neffen kann zwar auch noch nicht laufen, aber sonst kann es so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann.

Er und seine Freunde zocken gerne. Für seine Eltern ist es wohl ebenso nervig, wie für meine einst das Gedudel des Pocketgames, für manche Familien in den Neunzigern der Gameboy und für die Generation 2000 dann die Playstation & Co.. Ich sehe das Gezocke von Kindern jeden Alters durchaus kritisch. Aber irgendwann werde auch ich wohl nicht darum herumkommen und es werden Videospiele hier einziehen, gleich, welcher Form, ob als Konsole, Tablet oder Smartphone.

Und ich muss zugeben, ich habe Angst: Angst, dass meine Kinder nur noch zocken wollen. Dass sie nicht mehr draußen spielen, ungesund und unkreativ werden und mich in meinen Bedenken nicht verstehen, sondern in der virtuellen Welt unbemerkt zu aggressiven Massenmördern mutieren könnten.

Da Verbote erwiesenermaßen aber schon bei mir nicht genutzt haben, muss ich, wie viele andere Eltern, eine andere Strategie wählen: Die des vorsichtigen und maßvollen Begegnens von Kindern und Videospielen. Den Reiz des Verbotenen gar nicht erst aufkommen lassen und sanfte Kontrolle ausüben, um den Bezug zur Welt der jüngsten Generation nicht zu verlieren. Und während die beiden Lütten auf Tantes Tablet virtuelle Fische füttern, setze ich neue Batterieen in mein einst so geliebtes Pocketgame ein und fange Wildpferde.

Kurzrezension

Enzo hat Schwierigkeiten im Sportunterricht. Andere Kinder lachen über ihn, weil er am Reck nicht einmal einen Aufschwung schafft. Er ist unsportlich und daher immer der Schlechteste.

Das frustriert. Enzo möchte endlich einmal etwas können, gut bei etwas sein und den doofen Viktor besiegen. Enzos Freunde wollen ihm helfen und mit ihm trainieren. Doch dazu kommt es nicht, denn Enzo hört ein Gespräch zwischen ihnen mit, das ihn sehr verletzt. Er zieht sich  zurück. In der Mediathek hat er Pech: Alle Spielekonsolen sind besetzt. Ein Buch zu lesen stellt für Enzo einfach keine befriedigende Alternative dar.

Er bittet und bettelt zuhause, dass seine Eltern ihm endlich eine eigene Spielekonsole oder ein Tablet kaufen sollen. Doch Enzos Eltern sind gegen Videospiele. Vor allem seine Mutter möchte nicht, dass Enzo an einem Computer spielt, statt mit seinen Freunden. Oma sieht das nicht so eng. Sie kann ihrem Enkel den Wunsch nicht abschlagen und überredet die Eltern, ihr Einverständnis zu geben. Sie kauft für Enzo ein Tablet, auf dem er Lernspiele spielen darf.

Doch Viktor zeigt Enzo ein Kampfspiel, und das zieht den Jungen immer mehr in seinen Bann. Er vergisst nach und nach alles um sich herum, Freunde, Familie, Essen und Schule – nichts ist mehr wichtig, wenn Enzo am Tablet spielt. Sogar Rocky, der Hund, interessiert ihn nicht mehr. Rocky agiert hier als Beobachter der Clique, in der es inzwischen mächtig brodelt, denn die Freunde erkennen ihren Enzo kaum mehr wieder. Und Enzos Mutter hadert mit ihrer Schwiegermutter, die das Tablet-Ungetüm ins Haus gebracht hat.

Und dann passiert es: Enzo taucht so sehr in das Kampfspiel ein, dass er immer weniger isst und kaum noch schläft. Schließlich wird er richtig aggressiv. In seiner Wut nimmt er seine sich sorgenden Freunde gar nicht mehr als Freunde war, sondern sieht in ihnen Gegner. Er will gegen sie kämpfen. Er tritt sogar Rocky, sodass Tim wütend wird und sich mit Enzo prügelt. Mia und Rosalie können Enzo nicht zurückhalten, er nimmt sie nur noch als Bonuspunktgegner wahr.

 

Doch Rocky hat eine Idee: Statt gegen Enzo zu kämpfen, schleckt er ihn einfach liebevoll ab. Das holt Enzo zurück in die Wirklichkeit. Erschrocken über seine eigene Aggression stimmt er zu, in Zukunft kontrollierter und nach Regeln mit dem Tablet zu spielen, denn er möchte seine Freunde gar nicht verletzen.

 

Hier werden Klischees, Vorurteile, Ängste und Extreme thematisiert. Bei einem so polarisierenden Thema wie der Spielsucht und dem Abdriften in virtuelle Welten ist das aber durchaus in Ordnung. Auch die Comicform ist genau richtig für die plakative Art der Thematisierung. Schnell wechselnde schrille Bilder und eine völlige Überzeichnung des spielsüchtigen Enzo mit dem irren Blick sind erstaunlicherweise eine wirksame Umsetzung der Geschichte, die nicht moralisieren, den Zeigefinger erheben oder klugschnacken, sondern Kinder erreichen will. Und das klappt mit Comics, Humor und Überzeichnung einfach besser, als mit tiefsinnigen pädagogischen Weisheiten.

Kinder, die lieber Videospiele spielen, als Bücher zu lesen, lassen sich durch die Comicform viel eher erreichen, als durch elterliche Warnung. Dass die Eltern und die Oma zudem in der Geschichte auch so polarisierend und klischeehaft dargestellt werden, trifft den Nerv einer brisanten und alle paar Jahre wieder aktuell werdenden Diskussion.

Vor allem aber Rockys tierisch kluge Erkenntnis, dass Enzo nicht Kampf, Gegner, Kontra oder Belehrungen braucht, sondern Liebe und Freundschaft, macht den Wert dieser Geschichte aus und katapultiert das Buch trotz oder gar wegen seiner der Kürze geschuldeten oberflächlich erscheinenden Herangehensweise in die Kategorie „Buch der Woche“.

 

Altersempfehlung: 6-8 Jahre
Lesezeit/Volumen: 20-30 Minuten / 38 Comicseiten

Daten zum Buch „- Rocky und seine Bande Band 8 – Enzo im Computerfieber“

Titel: Rocky und seine Bande Band 8 – Enzo im Computerfieber
Autor: Stephan Valentin, Jean-Claude-Gilbert
Verlag: Pfefferkorn
Jahr/Auflage: 2017 / 1.

ISBN: 978-3944160221

Rocky und seine Bande - Enzo im Computerfieber

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10gebundenes kleines Taschencomic, lustig und bunt,
Text/Sprache10Typische Comicsprache, authentisch, verständlich, an den passenden Stellen mit lautmalerischen Wörtern ausgestattet
Inhalt9Enzo fühlt sich von seinen Freunden im Stich gelassen und flüchtet sich in die virtuelle Welt eines Kampfspiels. Denn hier findet er Anerkennung und Erfolg. Aber was, wenn er dabei seine realen Freunde verliert?
Pädagogische Themen10Freundschaft
Familie
Sucht
Angst
Einsamkeit
Anerkennung
Pädagogischer Wert9Wie schnell man dem Reiz von Videospielen und virtueller Welt erfallen kann, wird deutlich. Dass Verbot und Gegnerschaft aber kein Weg sind, ein Kind aus dieser Situation herauszuholen, sondern Liebe und Verständnis benötigt werden, wird hier ebenfalls deutlich.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10