Quentin Qualle – Die Muräne hat Migräne

Quentin Qualle_Kunze_Carstens_Ginsbach

Quentin Qualle – Die Muräne hat Migräne, Heinz-Rudolf Kunze, Jens Carstens, Julia Ginsbach

Ein Trio aus Musiker, Autor und Illustratorin schicken eine Qualle namens Quentin hinaus ins Meer, um anderen zu zeigen, was Werte sind – in diesem Falle Hilfsbereitschaft.

Kurzrezension

Das ansprechende Cover in Türkis mit der lustigen Muräne, die allerdings mehr nach Zahnschmerzen als nach Migräne aussieht, haben mich das Buch ergreifen lassen. Nachdem ich gelesen hatte, wer es geschrieben hat, schob ich es nach kurzem Durchblättern aber wieder zurück in die Bücherkiste. „Nicht schon wieder ein Promi-Kinderbuch“, dachte ich, und außerdem: „Ich mag seine Musik, da bin ich dann eh nicht objektiv im Urteil.“

Doch wie es der Zufall will, zog wenige Minuten später mein Kind das Buch aus derselben Kiste und legte es mit Überzeugung auf den „Nehmen wir mit“-Stapel. So sollte es dann sein. Und schon bin ich wieder einmal bei einer Geschichte gelandet, deren Bewertung mir sehr schwer fällt. Bei Quentin Qualle treffen so viele positive wie negative Aspekte aufeinander: Ein niedlicher Charakter, ein faszinierendes Setting, ein bisschen Spannung und ein gutes Ende. Dagegen stehen eine Sprache, deren Wortwitz und Anspielungen gekonnt an der Zielgruppe vorbeischießen, eine Handlung, deren Wendungen so gewollt wie unlogisch sind und ein Haufen Figuren mit lustigen Namen, die für selbige Handlung keinerlei Rolle spielen.

Das Ganze wird begleitet von einer Musik-CD, die überrascht. Denn hier findet sich etwas, das sich bewährt hat: Deutschrock mit guten Texten, der Erwachsenen vertraut vorkommt und Kinder fasziniert, weil er sich von den Rolf-Zuckowski-Klängen abhebt und ihnen Kindergeschichten in einem rockigen Gewand erzählen.

Zur Geschichte:

Der kleine Quallenjunge Quentin führt ein schönes Quallenleben mit seiner Familie. Opa erzählt Geschichten, Mama kocht und Papa macht den Wecker. Alle anderen Quallenfamilienmitglieder werden zwar auf dem vorderen inneren Einband namentlich vorgestellt, spielen aber noch nichtssagendere Rollen. Mit seiner Freundin Gabi, der Garnele, geht Quentin zur Meeresschule. Doch der Schulweg wird neuerdings immer häufiger von Muränen bedroht.

Der Anführer der Muränen, Hans, ist, wie sich herausstellt, nicht nur ein alter Freund der jungen Qualle, sondern leidet auch noch an Migräne. Viele Quallen sind gehässig und denken, das geschähe der Muräne recht. Doch Quentin möchte Hans helfen und schleicht sich nachts davon. Er gibt Hans eine Heilalge aus seinem Garten. Die bösen Muränen sperren ihn trotzdem erst einmal ein. Erst als die Medizin wirkt, lassen sie Quentin nicht nur gehen, sondern Hans verspricht ihm auch noch, dass die Muränen fortan vegetarisch leben wollen.

Quentin erzählt niemandem davon. Doch schon am nächsten Abend, als Opa seine irrelevante aber offenbar sehr spannende und abenteuerliche Geschichte erzählt, stellt Garnele Gabi fest, dass die Muränen die Kinder nun in Ruhe lassen und ihr Leben dadurch weniger abenteuerlich geworden ist. Es ist zwar erst ein Tag vergangen, aber alle freuen sich über die auf geheimnisvolle Weise verschwundene Gefahr.

 

Wer Alliterationen und Reime mag, ist bei dem ersten von bislang drei Quentin-Qualle-Büchern genau richtig. Für alle anderen kommt die Geschichte zu gewollt, zu konstruiert daher und weist leider viele logische Schwachstellen auf. Zudem werden Begriffe oder Umstände in den Raum geworfen, bei denen ein oder zwei Sätze der Erklärung nicht geschadet hätten: Was ist Atlantis und warum ist es  „sagenumwoben“? Wieso hat Quentin einen eigenen Heilkräutergarten und kennt sich mit Migränebehandlung aus?

Die Namensgebungen wie Oma Querulante und der Brotaufstrich Quatella sind lustig gemeint, verfehlen aber das Ziel bei der Altersgruppe – und das sag ich als Mutter einer „Nutellavernichtungsmaschine“. Die Gebrüder-Scholle-Schule kann man sich sparen, wenn man nicht erklären möchte, wer die Geschwister Scholl waren, nach denen viele Schulen hierzulande benannt sind. Das Thema ist im Zusammenhang mit einer lustigen Kindergeschichte aber wirklich nicht adäquat und etwas zu komplex.

Die Quabbelgruppe bekommen Kinder vielleicht noch hin, aber insgesamt zünden die Wortwitze leider einfach nicht. Ob Q-Test oder der Versprecher von Hans rund um das Sprichwort „tief in jemandes Schuld stehen“ – selbst Erwachsene müssen manchmal zweimal nachlesen, um den Verweis zu erkennen. Beim Satz „Da saß Quentin nun in der dunklen Kiste in der noch düsteren Kajüte des Schiffswracks“ fragt man sich, ob hier ein Tippfehler vorliegt und man von einer „noch düstereren Kajüte“ im Sinne einer Steigerung zur dunklen Kiste sprechen oder darauf hinweisen wollte, dass es noch nachts, also düster war – was unter Wasser ohnehin albern ist.

Einige Themen werden nur angerissen und sind nicht schlüssig: Warum ist es beim Schiffswrack zu gefährlich? Nur wegen der Muränen? Dann dürfte auch niemand mehr auf den Schulweg gehen. Quentin hakt bei dieser Aussage seiner Mutter nicht nach und widerspricht auch nicht. Doch dann bricht der wohlerzogene Quallenjüngling ohne zu zögern nachts auf und ignoriert Mutters Regel.

Einem Kinderbuch ein Gimmick beizulegen gehört schon fast zum guten Ton. Fingerpuppe und Zahnbürste haben aber gewaltig Konkurrenz bekommen durch Musik-Downloadcodes oder CDs. Sie sollen als „Extra“ die Kaufentscheidung begünstigen. Das ist in Ordnung, das kann man machen und im Falle von Heinz-Rudolf Kunzes Musik begrüße ich das auch außerordentlich. Denn mein Kind hat die CD einige Stunden rauf und runter gehört. Mamas Ohren konnten sich endlich einmal von Sumsumsum & Co erholen.

Aber bei all den Beilagen und Extras sollte man beim Lektorat eines Kinderbuchs vor allem eines nicht aus dem Blick verlieren: Wie kommt das Buch bei der Zielgruppe an? Wie klingt es vorgelesen, wie liest es sich für Leseanfänger? An diesen Punkten muss die Crew der Quentin-Schöpfer noch arbeiten. Vielleicht ist das für die Fortsetzungen „Rock am Riff“ und „Halligalli bei Zirkus Koralli“ ja geschehen. Letzteres jedenfalls ist zum Glück Joko-und-Klaas-frei.

Altersempfehlung: 5-8 Jahre
Vorlesezeit: 10-12 Minuten

Daten zum Buch „Quentin Qualle – Die Muräne hat Migräne“

Titel: Quentin Qualle – Die Muräne hat Migräne
Autor: Heinz-Rudolf Kunze, Jens Carstens, Julia Ginsbach
Verlag: Loewe
Jahr/Auflage: 2014/1.

ISBN: 978-3785580387

 

Quentin Qualle - Die Muräne hat Migräne

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt8
Titelwahl9Durch das "Die" im Untertitel erwartet man einen Alleinstellungswert der kranken Muräne, keine Muränengruppe.
Aufmachung10Hardcover
quadratisch
Das türkisblaue Cover macht Lust auf Meer.
Witzige Details in den Bildern von der Wohnlandschaft der Quallen, wie das Pendant zum Buddelschiff - ein Buddel-Auto samt Hänger, bringen den erwachsenen Vorleser zum Schmunzeln. Bei Kindern versickern solche Witze aber unbemerkt.
Text/Sprache9Die Altersempfehlung des Verlags wird mit 4-6 Jahren angegeben. Der Wortwitz und die vielen Anspielungen verstehen Kinder in diesem Alter aber nicht, auch nicht mit Erklärungen. Für Erstleser sind die Namen, die beinahe alle mit Q beginnen, schwierig zu lesen. Auch Worte wie "wisperte", "dreinschauenden" und "dreinblickenden" sind für Erst- und Zweitklässler noch kein Lesevergnügen.
Inhalt8Quentin Qualle lebt zufrieden in seiner großen Quallenfamilie, doch der Schulweg mit Freundin Gabi Garnele bringt keinen Spaß mehr: Böse Muränen greifen die Quallen an. Quentin denkt, dass er helfen kann, denn der Anführer der Muränen, Hans, ist eigentlich sein Freund. Als er hört, dass Hans Migräne hat, will er ihm helfen und schleicht sich nachts weg zum Schiffswrack, in dem die Muränen wohnen. Er überredet die bösen Muränen, ihn zu Hans zu bringen und gibt ihm eine Alge aus seinem Garten. Die anderen Muränen misstrauen Quentin und außerdem möchten sie ihn gerne fressen. Deshalb sperren sie ihn erst einmal ein. Erst als Hans von der Alge geheilt wird, lassen sie Quentin wieder frei und versprechen ihm, fortan vegetarisch zu leben.
Pädagogische Themen10Freundschaft
Hilfsbereitschaft
Mut
Familie
Vorverurteilung
Pädagogischer Wert8Wieso ein moderner Mensch wie Heinz-Rudolf Kunze in seiner Geschichte auf Geschlechterklischees setzt, ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls kocht hier selbstverständlich die Mutter und der Opa erzählt die spannenden Geschichten, die Oma heißt Querulante und die Garnelenfreundin ist hübsch. Ansonsten ist das Buch bemüht, pädagogische Werte zu transportieren - allerdings so verkrampft und gewollt, dass der Geschichte der natürliche Erzählfluss verloren geht. Es erschließt sich kaum beim ersten Vorlesen, warum Quentin der Muräne hilft und schon gar nicht, ob er aus Hans eine gute Muräne macht oder ob Hans vorher schon die freundliche Ausnahme bei den Muränen bildete.
Schlüssigkeit/Logik6Wenn Hans so gemein ist, wieso macht sich Quentin Sorgen um ihn? Wenn er sein Freund ist, wieso fressen seine "Untertanen" dann überhaupt Meereskinder? Wieso sieht Quentin erst "rein gar nichts", und dann doch wieder problemlos das gruselige Wrack und die bösen Muränen? Wieso hat Quentin auf Doppelseite vier Angst, weil Gabi so laut lacht, und auf Doppelseite sieben wird behauptet, Quentin hätte vor nichts und niemandem Angst, ihm wird nur mulmig? Wieso sind unter den Schulkindern fast nur Quallen, abgesehen von einer Quotengarnele und einem unbekannten winzigen Fisch?
Kreativität8Man kann nicht umhin, die Geschichte mit "Findet Nemo" zu vergleichen. Viele Jahre nach Arielle hat Disney mit dem kleinen Clownfisch den Spaß an der Unterwasserwelt neu entdeckt. Quentin Qualle will in dieselbe Richtung, schwimmt aber mit seiner Quallenschule zu langsam und stolpert über Logiklücken.