Der neue Badeanzug ist der größte Stolz meines Kindes. Vorbei die Zeiten, in denen mit Schwimmwindel ins Hallenbad gegangen wurde. „Schwimmwindeln sind was für Babys“, sagt mein Kind, und ist natürlich schon lange kein Baby mehr. Deshalb hat Mutti im Markenoutletcenter auch einen tiptop Badeanzug in xxxxs gekauft. Er wurde sofort anprobiert, passt wie angegossen und am liebsten hätte mein Kind ihn nie wieder ausgezogen.
So ein neuer Badeanzug ist etwas Besonderes. Darin sieht man aus, als könne man schwimmen. Mehr noch: Als wäre man ungemein sportlich und bei jedem Wettschwimmen Erster.
Erster sein hat bei uns in den letzten Monaten an Bedeutung gewonnen. Keine Ahnung, wie das anfing, aber plötzlich wurde alles zum Wettkampf: Wer als Erster ausgetrunken hat, wer als Erster die Treppe raufgelaufen ist, wer als Erster das Puzzle fertig hat. Vielleicht liegt es daran, dass Mutti gerne Sportwettkämpfe im Fernsehen sieht. Wenn Mutti laut jubelt, weil „unsere Jungs oder Mädels“ Erste geworden sind, wie jüngst beim Handball oder gerne auch beim Biathlon – dann ist ja klar, dass mein Kind nicht nur im Kindergarten beim „um die Wette laufen“, sondern auch daheim ein Wettkampfverhalten an den Tag legt und sich mit mir oder dem Geschwisterchen messen will.
Wenn ich Sport im Fernsehen anschaue und mein Kind dazu kommt, dann teilt es meine Begeisterung. „Mama, sowas brauche ich auch, ich will das auch machen“, sagt mein Kind dann, und deutet auf das Gewehr beim Biathlon. Oder auf die Schanze beim Neujahrsspringen. Oder auf die 1,60m hohen Steilsprünge beim Springreiten. „Und wenn ich das dann kann, dann bin ich Erster.“ Klare Sache.
Neben dem Sieg bei einem Wettkampf gewinnen inzwischen auch Preise, Anerkennungen, Medaillen und Abzeichen an Bedeutung. Vor einem halben Jahr war das alles noch vollkommen unbekannt. Aber je mehr Bücher wir lesen, je mehr Geschichten wir hören, je mehr wir unternehmen, desto interessanter wird es für mein Kind, auch etwas Besonderes zu lernen und dies durch ein Abzeichen bestätigt zu bekommen.
Diese Sache mit dem Abzeichen kann man differenziert betrachten. Eine Stimme in mir sagt: Ist doch wurscht, ob man ein Abzeichen bekommt, Hauptsache, man ist ein liebenswerter Mensch. Die Enttäuschung, wenn man es nicht schafft, wäre viel zu groß. Und fördern Wettkämpfe nicht den Neid unter Kindern? Die andere Stimme sagt: Ist doch toll, wenn man sich anstrengt, sich um etwas bemüht, etwas leistet und das dann auch anerkannt wird. Es ist schön, auf etwas stolz sein zu können und sich etwas erarbeitet zu haben. Warum sollte ich das meinem Kind vorenthalten?
Wie bei so vielen Dingen im Leben kommt es wohl auch bei Leistung und Anerkennung auf das richtige Maß und die richtige Einordnung an. Ein Abzeichen ist toll. Aber es ist auch kein Weltuntergang, wenn man etwas nicht kann. Dafür kann man vielleicht etwas anderes besser. Denn jeder, wirklich jeder, kann irgendetwas. Aktuell will mein Kind schwimmen können – und reiten, und Ski fahren und Musik machen und tanzen und turnen. Der Papa bekommt schon Panik in den Augen, wenn er an die ganzen Kursgebühren denkt. Aber darum kann sich mein Kind nun wirklich keine Gedanken machen. Und will ich diesen aufkeimenden Eifer, diesen Hauch von Ehrgeiz und das vielseitige Interesse wirklich jetzt schon ausbremsen? Aber nicht doch. Wir Eltern, wir wollen unsere Kinder doch fördern!
Also gut: Fangen wir erst einmal mit einer für Menschenkinder nicht nur spannenden, sondern im Zweifelsfall auch lebensrettenden Sache an: Weihen wir den Badeanzug im nächsten Schwimmkurs ein.
Vielleicht kann man da sogar das Seepferdchen machen.
Und wenn nicht, ist’s auch nicht schlimm.
Kurzrezension
Das Kinderbuch „Mama Muh geht schwimmen“ traf bei meinem Kind sofort auf Begeisterung. Eine Kuh, die schwimmen geht. Was soll man davon halten? Die Krähe weiß genau: Das kann nicht gut gehen. Immerhin wird man beim Schwimmen doch nass. Nass! Und wer will das schon. Die Krähe jedenfalls nicht, soviel ist klar. Mit nassem Gefieder würde sie womöglich untergehen. Niemals würde die Krähe schwimmen wollen.
Die Kuh Mama Muh hingegen ist sich sicher: Schwimmen, Rutschen und ein Schwimmabzeichen machen, das wäre toll und muss doch zu schaffen sein. Und so radelt sie mit Lina vom Bauernhof zum Hallenbad und macht dort den Goldfisch. Doch als sie zuhause der Krähe ihr Schwimmabzeichen präsentiert, kann sich die Krähe nicht mit Mama Muh freuen. Sie ist einfach zu traurig, dass sie selbst kein so tolles Abzeichen machen kann.
Da denken sich die Kinder Lillebror und Lina für die Krähe ein besonderes Abzeichen aus: den goldenen Flugfisch. Den kann die Krähe bekommen, wenn sie 25 Meter fliegt und dann vom Stalldach taucht. Ein „Krähenklacks“ ist das.
Als alle Kühe sich versammelt haben, um der Krähe dabei zuzusehen, wie sie ihr Abzeichen macht, legt die Krähe deshalb noch einen drauf und zeigt die tollsten Flugkunststücke. Eines ist allen nach dieser Darbietung klar: Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn man eine Sache nicht kann – denn jeder, wirklich jeder kann dafür eben etwas anderes.
Diese Mama Muh-Geschichte ist witzig, liebevoll und einfühlsam und macht Kindern Mut, nicht aufzugeben, nur weil sie eine Sache vielleicht nicht oder nicht so gut können. Jeder kann etwas, egal, ob es schwimmen, laufen oder fliegen ist. Und jeder, wirklich jeder, verdient ein Abzeichen.
Das Buch ist Buch der Woche, weil mein Kind jetzt erst recht schwimmen lernen will. Jetzt muss ich meinem Kind nur noch erklären, dass es keinen Goldfisch bekommen wird. Aber ein Seepferdchen ist ja auch schonmal was.
Altersempfehlung: 3-8 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten
Daten zum Buch „Mama Muh geht schwimmen“
Titel: Mama Muh geht schwimmen
Autor: Jujja Wieslander, Sven Nordqvist
Verlag: Oetinger
Jahr/Auflage: 2014
ISBN: 978-3789178757
Mama Muh geht schwimmen
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover, DINA 4 ganzseitige, teils doppelseitige Zeichnungen liebenswerte Bilder und Charakterisierungen |
Text/Sprache | 10 | Der Text ist kingerecht, gut vorzulesen und auch für Erstleser nicht zu kompliziert Die Kuh Mama Muh reimt zudem hin und wieder, was die Geschichte zusätzlich lustig macht und den Text auflockert |
Inhalt | 9 | Die Kuh Mama Muh will ein Schwimmabzeichen machen und fährt dafür mit Lina vom Bauernhof ins Hallenbad. Dort hat sie nciht nur Spaß beim Rutschen und wärmt sich im Planschbecken und in der Sauna auf, sondern macht auch gleich noch das schwierigste und schönste der möglichen Schwimmabzeichen: den Goldfisch. Stolz präsentiert sie diesen zuhause der Krähe, doch die kann sich nicht so recht mit der Kuh freuen, weil sie selbst niemals ein Schwimmabzeichen wird machen können. Die Kinder Lina und Lillebror haben Mitleid mit der Krähe und basteln deshalb ein Abzeichen, dass die Krähe für eine besondere Flugübung bekommen soll. Alle Kühe versammeln sich und erklären der Krähe, was sie machen muss, um das Abzeichen zu bekommen. Die Krähe legt los und setzt noch einen drauf, denn Fliegen ist doch ein "Krähenklacks". und so bekommt sie schließlich auch ein Abzeichen, auf das sie stolz sein kann, denn jeder kann schließlich irgendetwas. Den Abzug gibt es für die etwas abgehackten Übergänge. Beispielsweise bekommt der Leser gar nicht mit, wie die Kuh ihr Abzeichen schafft, sondern blättert um und landet plötzlich mit der Kuh in der Sauna, und eine Seite später schon wieder auf dem Bauernhof. Erst später wird erzählt, dass die Kuh das Abzeichen geschafft hat. Ein Schwimmlehrer oder Bademeister war auch nicht dabei. |
Pädagogische Themen | 10 | etwas lernen etwas schaffen stolz auf etwas sein Mitgefühl unterschiedliche Talente und Stärken haben verschieden sein Freude teilen Freundschaft |
Pädagogischer Wert | 10 | Bei aller Freude über das erlangte Schwimmabzeichen vergessen die Kinder und Mama Muh ihre Freundin, die Krähe nicht. Sie denken sich extra ein Abzeichen für sie aus, das sie bekommen kann, um die Freude mit ihr zu teilen. |
Schlüssigkeit/Logik | - | |
Kreativität | 10 |