„Maaamaaaaa!“
„Ja, was iiiiiist denn?“
„Mein Bruder und ich haben Arzt gespielt und ich hab … blablabla … und ausgezieht und … blablabla“ –
„Ich versteh dich nicht, was habt ihr gemacht?“
„Wir haben Arzt gespielt!“
„Ja, und was hast du mit deinem Bruder gemacht?“
„Ich hab ihm den Wackelzahn gezieht!“
Es dauert einen Augenblick, bis diese Aussage bei mir durch alle vorstellbaren Eventualitäten gesickert ist und alle möglichen Schockreaktionen hervorgerufen hat. Dann stürme ich die Treppe hinauf ins Kinderzimmer und atme erleichtert auf: Keine Blutlache zu sehen, kein Kleinkind im Koma, keine Milchzähne auf dem Boden.
So ganz konnte ich es auch nicht glauben, zumal der kleine Bruder ja noch kaum Zähne hat, geschweige denn wackelnde. Es war also bloß ein phantasievolles Rollenspiel. Das ist super, das Kind ist kreativ und setzt sich mit seinem Körper auseinander – oder vielmehr mit dem des Bruders. Seit wir ein paar bestimmte Bücher gelesen haben, ist das Thema Wackelzahn bei meinem Kind ganz groß. Fast täglich behauptet es stolz, einen Wackelzahn im eigenen Mund entdeckt zu haben. Dabei ist es noch jenseits vom Wackelzahnalter und ich gebe mir auch allergrößte Mühe, zu erklären, warum Wackelzähne zwar irgendwann Tatsache sein werden, aber jetzt noch lange nicht erstrebenswert sind. Beim kleinen Geschwisterchen einen Wackelzahn zu entdecken ist nun also der nächste Schritt in der Phantasie meines Kindes.
„Medizinische“ Bücher, egal wie kindgerecht sie gestaltet sind, sind immer eine Gratwanderung. Einerseits finde ich es sehr wichtig, dass meine Kinder sich früh mit ihrem eigenen Körper auseinandersetzen, ihn kennen- und verstehen lernen, wenn auch nicht in der gesamtbiologischen Komplexität. Es kann durchaus hilfreich sein, zu wissen, was Kariesbakterien sind und tun und was der Grund für eine Erkältung oder das Erbrechen sein kann. Aber mehr Wissen führt auch zu mehr Wissbegier, und diese gefahrfrei zu kanalisieren ist nicht immer ganz einfach. Mein Kind will wissen, was ein Wackelzahn eigentlich ist, wie es dazu kommt und warum das Wackeln eines Zahnes nicht immer eine positive Nachricht ist – wird versäumt, dies rechtzeitig zu erklären, kann es dazu führen, dass das Kind eigene Wege geht, um herauszufinden, wie so ein Zahn ausfällt.
Vor diesem Hintergrund bezweifle ich manchmal, ob es eine gute Idee war, meiner Großen ein Buch wie „In meinem Körper ist was los!“ zu bestellen. Ihre Tante, die das zweifelhafte Vergnügen hatte, es als Erste vorlesen zu müssen, weil der Postbote es ausgerechnet am Tantenwochenende lieferte, würde auf diese Frage ganz heftig den Kopf schütteln. „Du glaubst nicht, was die mir für Fragen gestellt hat beim Vorlesen!“, war ihre erschöpfte Erstaussage.
Ich blätterte neugierig durch das dunkelrote Abenteuer und zweifelte stark meine Bestellung an. Aber manche Bücher brauchen eine gewisse Anlaufzeit, bis sie ihre Qualitäten gänzlich zum Ausdruck bringen und nach dem Kind auch den vorlesenden Elternteil von sich überzeugen können. Dieses Werk von Dr. med. Sibylle Mottl-Link und Fréderic Bertrand hat sich seinen Titel als „Buch der Woche“ jedenfalls hart erarbeitet.
Kurzrezension
Dieses Kinderbuch bietet Kind und Vorleser eine aufregende Reise durch mehr oder weniger unattraktive Innenräume des menschlichen Körpers. Begonnen wird logischerweise mit dem Mund und der dortigen Nahrungsaufnahme. Die ersten Bakterien und Verdauungshelfer, Zähne und Spucke, werden vorgestellt. Hinter den Klappen wird erklärt, wie es zu Halsschmerzen kommt und was man dagegen tun kann.
Die Mandeln als Wachmänner sind blau, die bösen Bakterien und Viren grün mit unverkennbar bösartigem Blick und, was aufgrund des allgemein sehr rot gehaltenen Bildes fast untergeht: Ein freundliches rotes Bakterium erklärt Seite für Seite, worum es eigentlich geht.
Weiter geht es nun mit der Atmung durch die Nase. Nasenschleim und Schnupfen werden erklärt. Auch hier versuchen die tapferen blauen Mandeln das Eindringen von Bakterien und Viren zu verhindern. Auf der nächsten Seite lernen wir neue Abwehrkräfte kennen, die weißen Blutkörperchen. Sehr anschaulich werden diese mit UNO-anmutenden Blauhelmen dargestellt und es wird gezeigt, wie eine Wunde heilt, damit keine bösen Krankheitserreger in den Körper eindringen können.
Auf Doppelseite Nummer vier befindet sich der Leser inmitten von Lungenbläschen und Lymphknoten und erfährt, was Reizhusten ist und was man bei Husten am besten unternimmt, um den Körper zu unterstützen.
Anschließend wird es fast ein bisschen eklig, denn, mal ehrlich: Kann man Magensäure und den Verdauungsprozess vor Ort wirklich ansehnlich darstellen? Aber mein Kind ist begeistert: Ach, so geht das also mit der Banane und den Keksen, die ich esse. Die rutschen durch die Speiseröhre in den Magen! Der Weg lässt sich super nachvollziehen, wenn es mit dem Finger den Hals entlang bis zum Bauch fährt. Ganz logisch. Und genau diesen Weg geht die Nahrung zurück, wenn der Magen von Krankheitserregern befallen wird. Welches Kind kann sich das nicht vorstellen, kennt es das Gefühl doch zur Genüge.
Und dann? Wollen wir das wirklich so genau wissen? Aber klar: Vom Magen aus gelangen die anverdauten Essensreste in den Darm. Zu erfahren, warum man pupsen muss, ist eine Sache. Aber ich persönlich habe die Darstellung von Durchfall noch nirgends so amüsant vorgefunden, wie in diesem Buch. Also: Nur Mut, liebe Eltern, stellt Euch den Bakterien und den Fragen Eurer Kinder!
Beide Daumen hoch für „In meinem Körper ist was los!“
Altersempfehlung: 3-8 Jahre
Vorlesezeit: 8-20 Minuten
Daten zum Buch „In meinem Körper ist was los!“
Titel: In meinem Körper ist was los!
Autor: Dr. med. Sibylle Mottl-Link, Fréderic Bertrand
Verlag: Loewe
Jahr/Auflage: 2016/1.
ISBN: 978-3785581568
In meinem Körper ist was los!
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 9 | Hardcover, knallige Farben, etwas rotlastig und dadurch unübersichtlich Lesen und Vorlesen sollte man nur bei sehr hellem Licht, sonst übersieht man Textteile oder Klappen leicht sechs doppelseitige Zeichnungen mit je zwei Klappen, hinter denen sich weitere Erklärungen verstecken Die Klappen sind groß und durch die Einkerbung auf der festen Seite auch für Kinder einigermaßen gut zu öffnen. Die festen Pappseiten halten auch Kinderhänden stand. |
Text/Sprache | 9 | Der Text ist dem Thema entsprechend mit einigen schwierigeren Wörtern wie Flimmerhärchen, Lymphknoten und Verdauungsflüssigkeiten gespickt und daher für Erstleser eher nicht geeignet. Beim Vorlesen sollte man sich Zeit nehmen, damit die trotz kurzer Textpassagen große Menge an Informationen aufgenommen werden kann. |
Inhalt | 10 | Angefangen mit der Nahrungsaufnahme und der notwendigen Mundhygiene verfolgt der Leser die Nahrungsmittel sowie die Atemluft durch Mund und Nase, Speise- und Luftröhre in die Lunge oder in den Magen. Von dort geht es für die Nahrungsreste noch weiter in den Darm. Überall begegnen wir kleinen Helfern wie den für die Nahrungsverdauung wichtigen Bakterien und den Abwehrmechanismen, den Mandeln und weißen Blutkörperchen. Doch auch die gefährlichen oder gemeinen Bakterien und Viren, die zu Karies, Atemwegserkrankungen, Erbrechen und Durchfall führen können, lauern überall und wollen in den Körper eindringen und ihm schaden. Das ist spannend und aufregend. Aber es ist auch tröstend, zu wissen, dass sich der Körper meistens selbst gegen die Eindringlinge zur Wehr setzt. Aber falls der Körper einmal den Kampf gegen die Krankheitserreger verlieren sollte, sollte man unbedingt zum Arzt gehen und Medikamente hinzuziehen, heißt es hier mahnend. |
Pädagogische Themen | 10 | der eigene Körper Vertrauen in die körpereigene Abwehr rechtzeitig zum Arzt gehen biologische Prozesse |
Pädagogischer Wert | 10 | Kinder erleben mit dieser spannenden Reise durch den eigenen Körper nicht nur eine Menge Spaß beim Entdecken der beschriebenen Bakterien und Viren, sondern lernen auch, weshalb die Mundhygiene und das Achten auf die Signale, die der Körper dem Menschen sendet, wichtig sind. Erste Biologiekenntnisse werden auf lustige und informative Weise anschaulich vermittelt. |
Schlüssigkeit/Logik | 10 | |
Kreativität | 10 |