Hat Opa einen Anzug an?

Hat Opa einen Anzug an? Amelie Fried, Jacky Gleich

Vor gut einem Jahr verstarb mein Vater. Für meine Kinder war es das erste Mal, dass ein so vertrauter Mensch von uns ging. Jeder Mensch geht anders mit Trauer um, und jeder Mensch muss seinen Weg finden, mit seinen Kindern über Trauer und Tod zu sprechen.

Wir haben den Weg der Wahrheit gewählt. Wir haben gesagt, wie traurig wir sind. Ich habe geweint, habe meine Hilflosigkeit nicht verborgen. Ich wusste nicht, ob ich meinen Kindern damit zuviel Last auferlegen würde, ob ich sie nicht lieber vor der Traurigkeit schützen sollte, ob ich sie von der Beerdigung fernhalten sollte. Die Meinungen der Menschen gehen hier auseinander.

Manche Menschen möchten von ihren Kindern nicht traurig, nicht hilflos gesehen werden. Manche möchten immer stark sein in den Augen ihrer Kinder. Das ist verständlich. Ich wollte das aber nicht. Vielleicht konnte ich es auch nicht. Und ich wollte, dass meine Kinder sich verabschieden können von Opa.

Ich habe meinen Kindern erzählt, was nun geschehen wird. Ich habe von der Trauerfeier erzählt, die es geben würde, und von der Beisetzung. Ich habe gesagt, wer da sein wird und wer vielleicht weinen wird. Ich habe davon erzählt, was ich glaube, was mit den Toten geschieht, mit ihren Körpern, mit ihren Seelen. Und ich habe vom „Leichenschmaus“ erzählt, dem Zusammentreffen nach der Beisetzung, und von den Beweggründen für oder gegen eine solche Mahlzeit im Anschluss.

„Wer liegt da noch drin?“, fragte mein Sohn mit Blick auf den Sarg. „Nur der Opa“, sagte ich. „Aber der ist doch gar nicht so groß“, war die verwunderte Antwort des damals Vierjährigen. Und ich musste schmunzeln, wie es wohl auch der Opa getan hätte, wenn er das gehört hätte. Und wie auch einige der Trauergäste schmunzeln mussten, denn Juniors Frage war durch die ganze Friedhofskapelle zu hören gewesen. „Doch,er war ein großer Mann, Dein Opa.“

Es war nicht die einzige Frage, die das Kind während der Trauerfeier stellen würde, bis es schließlich erschöpft während der Ansprache des Priesters einschlief. Seine Schwester las indessen in dem Buch, das mir im Beerdigungsinstitut aufgefallen war und welches ich sogleich bestellt hatte:  „Hat Opa einen Anzug an?“

Die Kinder stellten uns noch viele Fragen. Sie stellten sie offen, interessiert, ohne Scheu. Und wir waren bemüht, alles so wahr und verständlich wie möglich zu beantworten. Uns allen half dabei dieses großartige einfühlsame wie ehrliche Buch von Amelie Fried und Jacky Gleich. Ich lege es allen ans Herz, die einen schmerzlichen Verlust zu verkraften haben und sich danach sehnen, offen darüber reden zu können, aber nicht immer gleich die richtigen Worte zu finden vermögen.

 

Kurzrezension

Brunos Opa ist gestorben. „Davongegangen“, hatte Xaver gesagt. Dabei lag Opa doch noch dort. Er lag in dem Sarg und trug seine schwarzen Schuhe. Also musste er auch den Anzug anhaben, denn der Anzug und die schwarzen Schuhe gehörten zusammen.

Opa sieht aus, als würde er nur schlafen. Für Bruno ist es schwer zu begreifen, was nun passiert. Das Wort Beerdigung klingt seltsam. Noch seltsamer sind die vielen Fremden, die hinter dem Sarg hergehen. Tante Mizzi weint. Wer tröstet eigentlich die Erwachsenen, wenn sie weinen? Und kann Opa hören, was der Pfarrer sagt? Wie ist das, wenn man tot ist?

In Brunos Kopf schwirren viele Fragen, und manchmal versuchen die Erwachsenen, sie ihm zu beantworten. Im Anschluss an die Beerdigung gibt es ein Essen im Gasthaus. Vom Weinen ganz hungrig essen alle Unmengen und erzählen sich Geschichten und trinken Bier. Dabei werden sie immer fröhlicher. Bruno wundert sich: Warum hatten sie so eine fröhliche Feier nicht gemacht, als Opa noch lebte?

Auch ein paar Tage später, kann Bruno es immer noch nicht richtig fassen, dass Opa nicht mehr da ist. Er geht in sein Zimmer, sieht sich um, erinnert sich an Opas Träume und dass er eigentlich zur See fahren wollte. Dann entdeckt Bruno das Erbe, das Opa ihm einst zugesprochen hatte: Ein winzig kleines Holzschiff. Er nimmt es an sich. Es wird ihm helfen, sich zu erinnern.

Bruno fragt und überlegt, er wird wütend und traurig. Bruno erkennt den Wert von Erinnerungen. Er gießt die Beete auf Opas Grab, und manchmal ist es, als könne er noch mit ihm reden. Bruno spürt, wie unterschiedlich schnell die Zeit vergeht, wie sie stehenzubleiben scheint, als Opa stirbt, und dann, nach einer Weile, ist es beinahe so wie vorher – nur dass da einer fehlt, ein Loch hinterlässt, eine Lücke. „Wann muss ich sterben?“ fragt Bruno. Papa weiß es nicht und will es nicht wissen. Er sagt, was die Indianer sagen: „Lebe jeden Tag, als könnte es dein letzter sein.“ Auch wenn Bruno es nicht ganz versteht – die Worte gefallen ihm, und auch dem Vorleser klingen sie nach.

 

Brunos Gedanken, Gefühle, Fragen und Erlebnisse sind unglaublich authentisch und nachvollziehbar. Die Beerdigung, die unterschiedlichen Reaktionen und Erklärungen der anderen und das Weiterleben ohne Opa – all dieses Dinge fühlen sich für die kleinen und großen Leser ganz echt an, ungeschmückt, real. Verwirrende Umschreibungen für das Sterben – wie Xavers Satz „Er ist gegangen“, werden hinterfragt. Das Buch verwendet keine abstrakten Figuren, sondern zeichnet ein Umfeld, in dem man sich wiedererkennen kann.

Die Sprache ist einfühlsam. Die fast nur in Sepia/Braun-Beige gehaltenen Bilder berühren. Dieses Buch ist ein Glücksgriff für jeden, der mit seinen Kindern zusammen den Verlust eines geliebten Menschen durchlebt, ihre Fragen zulässt und, wenn ihm die Worte fehlen sollten, dankbar ist dafür, dass er sie hier finden kann.

 

Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 10-15 Minuten

Daten zum Buch „Hat Opa einen Anzug an?“

Titel: Hat Opa eine Anzug an?
Autor: Amelie Fried, Jacky Gleich
Verlag: Carl Hanser
Jahr/Auflage: 1997

ISBN: 978-3446190764

Hat Opa einen Anzug an?

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10gebunden, Querformat, die gedeckte Sepiafarbe passt, die Zeichnungen sind niedlich, die Figuren und Details berühren
Text/Sprache10Die Geschichte wird aus Brunos Sicht erzählt. Der Text ist verständlich, die Schrift groß, sodass sie auch von Leseanfängern gut erschlossen werden kann.
Inhalt10Brunos Opa ist gestorben. Bruno geht mit auf die Beerdigung, er hört, wie die Erwachsenen reden, sieht, wie sie trauern und in seinem Kopf schwirren die unterschiedlichsten Fragen zum Thema Tod und Leben herum. DIe Erwachsenen geben sich große Mühe, Bruno zu helfen auf der Suche nach Antworten, die nicht immer ganz leicht zu geben sind.
Pädagogische Themen10Familie
Tod
Trauer
Verlust
Schmerz
Erinnerung
Leben
Carpe Diem
Pädagogischer Wert10Brunos Fragen und Feststellungen sind so authentisch und einleuchtend, dass dieses Buch nicht nur kleinen Lesern durch die Zeit der Trauer zu helfen vermag.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10