Haku und die Meerjungfrauen erzählt von einem kleinen Jungen, der sich aus verletztem Stolz und falscher Eitelkeit in große Gefahr begibt.
Kurzrezension
Haku ist der Sohn des Dorfschmieds. Seine Eltern sind glücklich und stolz auf ihr Kind. Als Haku beginnt, sich für das Handwerk seines Vaters zu interessieren, bekommt er eigenes Werkzeug geschenkt. Alle im Dorf loben sein Talent. Gerne würde Haku auch gleich das Werkzeug seines Vaters nutzen, doch das darf er noch nicht, es ist zu schwer für ihn.
Mit seinem kleinen Werkzeug beginnt Haku dann aber, statt der üblichen Gebrauchsgegenstände Schmuckstücke zu schmieden. Die Dorfleute, bei denen der Schmied wegen seiner wichtigen und nützlichen Arbeit sehr angesehen ist, spotten nun über Hakus Arbeit und werten sie als unnütz.
Haku ist sehr verletzt und geht zum Meer, wo er seine Kunstwerke im Wasser versenkt. Das sehen die Meerjungfrauen. Sie finden Gefallen an den fein geschmiedeten Dingen und überreden Haku, mit auf den Meeresgrund zu kommen, um dort für den Herrscher des Meeres einen goldenen Kelch zu schmieden. Anschließend wolle man ihn mit Gold überhäufen, lässt man ihn glauben.
Haku stellt sich die Gesichter der Dorfbewohner vor, wenn sie erfahren würden, dass seine Arbeit ihm so viel Lohn eingebracht hat. Er fühlt sich geschmeichelt von den lobenden Worten der Meerjungfrauen. Jeden Tag nimmt er daher die Zauberalge an, die sie ihm geben. Das Kraut führt dazu, dass er unter Wasser leben kann. Haku schmiedet das Gold, das man ihm zur Verfügung stellt, mit dem größten Hammer, den er finden kann. Zuhause durfte er den großen Hammer ja nicht benutzen, aber hier, im Meer, erscheint plötzlich alles ganz leicht.
Der Junge vergisst seine Herkunft und seine Vergangenheit. Der Kelch nimmt wunderbare Formen an. Doch noch bevor Haku sein Werk ganz vollendet hat, spürt der Junge, dass etwas mit ihm geschieht. Unter Wasser fühlt er sich immer schlechter. Er bekommt Schmerzen und wird schwächer und das Schmieden bereitet ihm mehr und mehr Schwierigkeiten.
Da kommt ein Fisch zu Haku. Dieser beobachtet den Jungen offenbar schon eine Weile und ruft ihm zu, er solle fliehen. Haku weist den Fisch ab und schickt ihn weg, doch der Fisch kehrt zurück und erzählt ihm seine eigene Geschichte: Auch er war einst ein Schmied, der sich von den Schmeicheleien der Meerjungfrauen einfangen ließ. Nun ist er für immer im Meer gefangen, einzig seine Sprache ist ihm vom Menschsein geblieben. Auch bei Haku bilden sich schon Schwimmhäute und Schuppen, seine Verwandlung zum Meerestier hat bereits begonnen.
Haku begreift, dass man ihn belogen hat. Er erkennt die Gefahr, in der er schwebt, und mithilfe des Fisches gelingt ihm die Flucht. Er kehrt heim zu seinen Eltern. Fortan hilft Haku seinem Vater in der Schmiede bei der Herstellung aller nützlichen Produkte. Doch er lässt es sich nicht nehmen, auch hin und wieder das zu schmieden, was ihm selbst so gut gefällt: Schmuck und Zierde. Der Spott der Dorfbewohner prallt nun an ihm ab, denn er hat gelernt, dass Schmeicheleien und Lob anderer nicht so wichtig sind, wie zu sich selbst zu stehen.
Als ich das erste Mal das Bildermärchen von Gabi Wieczorek in die Hand nahm, dachte ich, es ist zu starker Tobak, zu ernst, zu gruselig für Kinder. Doch mein eigenes Kind belehrte mich eines Besseren. Beim ersten Durchblättern erklärte es mir, dass ihm die Bilder sehr, sehr gut gefallen würden. Vor allem die Schönheit der Meerjungfrauen beeindruckte mein Kind.
Dann lasen wir zusammen die Geschichte von Haku. Entgegen meiner Erwartungen machte diese meinem Kind aber keine Angst. Es nahm sie aufmerksam an und wollte sie am nächsten Tag wieder hören. Nun, nach mehreren Leseetappen, kann ich mich der Bezeichnung des Buches als Bildermärchen voll anschließen. Es enthält alle Punkte, die es für ein klassisches Märchen bedarf: Zeit und Ort bleiben unbestimmt. Der Held muss sich einer Aufgabe stellen, dabei überwindet er seine Schwäche. Magische Elemente und Figuren werden eingebracht, ein tierischer Freund hilft dem Helden und die Geschichte hat eine Moral und ein gutes Ende.
Klassische Märchen sind ein bisschen aus der Mode gekommen. Das hängt weniger mit Kindern zusammen, für die nach meiner Erfahrung Märchen nichts von ihrem Reiz verloren haben. Doch Eltern sind vorsichtiger, ängstlicher in der Auswahl der Kinderlektüre geworden. Können Kinofilme und Romane, Tatorte und Erwachsenencomics nicht actionreich, spannend und brutal genug sein, so will man aber doch sein Kind vor jedem Hauch eines erahnten Grusels schützen. So sind die Werke der Gebrüder Grimm schon auf einem unausgesprochenen Index gelandet, gemeinsam mit dem Struwwelpeter und Max und Moritz. Zu brutal, zu gemein – am Ende gar zu real? „Immerhin schrieben die Grimms ihre Texte für Erwachsene“, hört man durch sämtliche Elternforen hinweg. „Märchen sind nichts für Kinder.“
Tatsächlich gehört Hakus Geschichte zu den Stoffen, aus denen Märchen sind, und ist damit durchaus geeignet, Erwachsene zum Nachdenken anzuregen. Und doch ist die Umsetzung in die Bilder der Autorin so gut und außergewöhnlich gelungen, dass mein Kind überhaupt keine Schwierigkeiten hatte, die Stimmungen auf- und anzunehmen, die hier vermittelt werden.
Für mein Kind ist die Welt noch recht eindeutig in schwarz und weiß, gut und böse unterteilt. Doch die immer dunkler werdende See, in deren Tiefe das Meerungeheuer wohnt, gruselig und gleichzeitig faszinierend, die Schönheit und der Glanz der Meerjungfrauen, die ganz im Gegensatz zu ihrem Vorhaben und Wesen stehen – genau diese Gegensätze zeigen den jungen Lesern, worauf es der Autorin und Illustratorin ankommt, die Moral von der Geschicht:
Lasst euch nicht von Schönheit blenden und von Schmeicheleien einwickeln, sondern besinnt euch auf das, was euch wichtig ist im Leben. Erkennt die Gefahr, die hinter einem schönen Schein lauern kann.
Im Falle dieses Märchens ist es zusätzlich noch umgekehrt: Lasst euch nicht von der gruseligen Beschreibung des Meerungeheuers und der großen Gefahr, in der Haku schwebt, schrecken, sondern traut euren Kindern zu, dieses Märchen anzunehmen. Denn das Eintauchen in eine mystische Zauberwelt, ihren Gefahren trotzen und am Ende gestärkt daraus hervorgehen ist für Kinder wie Erwachsene eine zeitlos phantastische Erfahrung.
Altersempfehlung: 5-9 Jahre
Vorlesezeit: 10-15 Minuten
Daten zum Buch „Haku und die Meerjungfrauen“
Titel: Haku und die Meerjungfrauen
Autor: Gabriele Wieczorek
Verlag: Berenkamp
Jahr/Auflage: 2016
ISBN: 978-3850933650
Haku und die Meerjungfrauen
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover Mystisch anmutende Zeichnungen versetzen den Leser in eine längst vergangene Zeit. Die gewählten Farben spiegeln die Stimmungen des Märchens. |
Text/Sprache | 9 | Die Geschichte von Haku hat etwas märchenhaft Mystisches, nicht Greifbares, das sich auch in der Sprache wiederfindet. Worte wie Tand, Geschmeide und Zierrat sind daher ebenso ungewöhnlich für Erstleser, wie die gewählte Schriftart. Auf Seite 33 wäre "aufwog" oder "aufwiegen würde" grammatikalisch korrekt. |
Inhalt | 10 | Haku ist der Sohn des Schmiedes, eines angesehenen Mannes. Er lernt schnell das Handwerk vom Vater. Doch als er beginnt, Schmuck zu fertigen, verspotten ihn die Dorfbewohner. Die Meerjungfrauen hingegen schmeicheln ihm, nennen ihn Meister und überreden ihn zu einem Leben im Wasser. Er soll für den Meerkönig einen prächtigen goldenen Kelch schmieden und dafür reich belohnt werden. Doch ein unerwarteter Fremder erweist sich als Freund und warnt Haku vor den trügerischen Absichten der Meerjungfrauen. Gerade noch rechtzeitig verhilft er dem Jungen zur Flucht. Wieder zuhaus kümmert sich Haku nicht mehr um das Gerede der Leute. Er hat gelernt, dass es nicht auf Komplimente anderer ankommt, solange ihn seine Arbeit mit Freude erfüllt. |
Pädagogische Themen | 10 | Eitelkeit Stolz schöner Schein Äußerlichkeiten innere Werte Selbstbewusstsein Mut |
Pädagogischer Wert | 10 | Der junge Haku gibt viel auf die Beurteilung durch die Dorfbewohner. So viel, dass er sein altes Leben hinter sich lässt um für den Meerkönig zu arbeiten. Er erhofft sich großen Lohn und viel Lob, doch er muss erkennen, dass der schöne Schein der Meerjungfrauen ihn geblendet hat. Ihre bösen Absichten werden ihm von einem Fisch aufgedeckt, den er zunächst verscheucht. Erst kurz bevor es zu spät ist, erkennt Haku die Wahrheit und kehrt auf seinen Weg zurück. Fortan steht er zu seiner Arbeit und gibt nichts mehr auf den Spott der Dorfbewohner. |
Schlüssigkeit/Logik | - | |
Kreativität | 10 |