„Und, hast du schon Freunde in deiner Klasse?“ Nahezu eine Standardfrage, die derzeit an viele Kindergarten- und Schulanfänger gerichtet wird. Auch mein Kind soll sie beantworten, obwohl wir wissen, dass es in den Pausen immer mit den Großen aus der Zweiten und den Freunden aus der Parallelklasse spielt. In der eigenen Klasse Anschluss zu finden, ist nicht leicht.
Ein wenig verwundert sind wir schon, ja, nach ein paar Tagen sogar verunsichert. Unser Kind, das sonst überall innerhalb von wenigen Minuten Kontakte knüpft, immer positiv auf neue Gesichter zugeht und innerhalb weniger Tage Freundschaften schließt, will einfach nicht so recht ankommen in der Schulklasse. „Die passen mir alle nicht“, sagt es. „24 Kinder, da werden doch auch ein paar nette dabei sein“, sage ich besseren Wissens. Aber irgendwie ist der Wurm drin. Schon vier Schultage sind vergangen, und noch immer wird unsere interessierte Nachfrage negativ beantwortet: „Die sind alle nicht nett.“
Nun kann man sagen: „Vier Tage, das ist doch noch gar nichts. Da kann noch viel passieren.“ Und das stimmt natürlich. Aber trotzdem kennen wir es eben anders. Das „Freunde finden“ war in dieser kontaktfreudigen Familie nie ein Problem, schon gar kein zeitliches.
Und deshalb grübeln wir Eltern, hinterfragen, ob wir uns mehr um einen Klassenwechsel hätten bemühen müssen oder davon abraten sollten, sich so an die „alten Freunde“ zu klammern, ja, sogar, ob es ein Fehler war, das Kann-Kind gegen den Trend einzuschulen. Fast schon fangen wir an, sorgenvoll in die Zukunft zu blicken, wie das bloß auf Klassenfahrten sein soll, wenn das Kind keinen Anschluss findet. Ich gebe es zu: Wir sind einfach verwöhnt.
Aber blicken wir über unseren Tellerrand, dann sehen wir viele Kinder, die mit unserem im selben Boot sitzen. Viele Kinder suchen Anschluss, wollen Freundschaften knüpfen und nicht alleine sein. Allen geht es so. Und es braucht eben seine Zeit, anzukommen im neuen Umfeld.
Und dann schauen wir doch einmal noch genauer hin, stellen die Fragen etwas anders, hinten herum und aus anderer Perspektive. Wir formulieren um und werfen Theorien in den Raum. Und plötzlich bekommen wir unsere Erklärung und erkennen das eine große, oft missachtete aber ebenso oft ausschlaggebende Element zwischenmenschlicher Kommunikation und Beziehung: Das Missverständnis.
Unser Kind hatte doch tatsächlich schlicht aufgrund eines Missverständnisses noch nicht direkt am zweiten Schultag eine Freundschaft geknüpft. Da gab es nämlich ein Kind, das mutig war und auf unseres zuging. Es stellte die – neben der eingangs erwähnten häufigsten Frage dieser Tage – die zweithäufigste Frage: „Wollen wir Freunde sein?“
Eine einfache Frage, die eigentlich, schlicht nach Sympathie oder Not eine einfache Antwort erwarten ließe: „Ja“ oder eben „Nein“. Aus irgendeinem Grund aber sagte unser Kind beides nicht. Es sagte stattdessen: „Vielleicht.“
Was in den Augen unseres Kindes eine zaghafte, unwissende und erwartungsvolle Antwort war, war für das mutige, fragestellende Gegenüber aber eine Abweisung, ja, fast ein Schlag ins Gesicht. Es ging fort und suchte sich ein anderes Kind, das nicht „Nein“ sagte und auch nicht „Vielleicht“. Diesen Perspektivwechsel sprachen wir in der Familie durch. Und schon am nächsten Tag kam unser Kind gelöst und fröhlich von der Schule und präsentierte uns gleich zwei frisch geschlossene Freundschaften.
Wie wichtig es ist, jemanden zu haben, nicht allein zu sein und sich angenommen zu fühlen, dass spüren und erfahren derzeit viele kleine Kindergarten- und Schulanfänger. Wie viele Missverständnisse mögen in diesen Tagen entstehen und sich zwischen die Kinder stellen, wie viele unbedachte oder anders gemeinte Worte erschweren den kleinen Großen ihre Schritte in das neue soziale Umfeld? Kaum auszudenken!
Ganz ähnlich ergeht es übrigens den Protagonisten in unserem aktuellen Buch der Woche: Freddy und Eddy, eine Fledermaus und ein Eichhorn. Sie finden über viele Missverständnisse auf besonders witzige Weise zu einer Wohngemeinschaft und guten Freundschaft zusammen und machen dem Leser ganz nebenbei auch noch unheimlich viel Spaß!
Kurzrezension
Freddy Fledermaus ist auf der Suche nach einem Zuhause und nach Anschluss an andere. Doch bei den anderen Fledermäusen ist es zu voll, beim Fuchs zu gefährlich und das Stinktier findet, dass Fledermäuse stinken.
Freddy sucht unermüdlich weiter nach einer gemütlichen Bleibe. Da entdeckt er eine tolle Kugel aus Blättern, mitten im Geäst eines Baumes. Sogar ein Schlafzweig ist in der Höhle. Freddy legt sich ein paar Insektenvorräte an und hängt sich zum Schlafen auf. Dabei übersieht er Eddy Eichhorn, der in diesem seinen Kobel schläft und träumt. Freddys Schnarchen weckt das mürrische Eichhorn auf und Eddy ist entsetzt über den Eindringling.
Da er die Fledermaus nicht so recht wach bekommt, schreibt Eddy einen eindeutigen Brief an Freddy mit der nicht sehr höflich formulierten Bitte, umgehend wieder auszuziehen. Doch Freddy, der stets positiv denkt, missversteht Eddys Nachricht gründlich, und so nimmt ein kurioser Briefwechsel zwischen den nicht ganz freiwilligen Wohngemeinschaftsgründern ihren Lauf.
Alles weitere wäre zu viel verraten und kann auch schlicht nicht so witzig in einer Rezension wiedergegeben werden, wie es im Original durch Wort und Bild ausgedrückt wird. Nur eines sei noch verraten: Natürlich werden Eddy und Freddy am Ende ganz dicke Freunde.
Paul Meisel liefert hier ein ungeahnt liebevolles, witziges, kurioses und treffend gezeichnetes Bilderbuch über Missverständnisse und die Sehnsucht nach Freundschaft. Will denn wirklich überhaupt irgendjemand alleine sein? Sitzen wir nicht alle in einem Boot und brauchen Mut und Toleranz, um uns auf jemand anderen ein- und ihn in unser Leben zu lassen?
Oft gelesen und Tag für Tag mehr geliebt legen wir Euch dieses Glanzstück aus dem Brunnen-Verlag ans Herz. Viel Spaß mit „Gute Nacht, Fledermaus! Guten Morgen, Eichhorn!“
Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten
Daten zum Buch „Gute Nacht, Fledermaus! Guten Morgen, Eichhorn!“
Titel: Gute Nacht, Fledermaus! Guten Morgen, Eichhorn!
Autor: Paul Meisel
Verlag: Brunnen
Jahr/Auflage: 2017
ISBN: 978-3765558504
Gute Nacht, Fledermaus! Guten Morgen, Eichhorn!
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | gebunden, liebevoll, niedlich, witzig illustriert, warme Farben die Lust auf den Herbst und einen Waldspaziergang machen, um die Protagonisten zu suchen |
Text/Sprache | 10 | Der Text ist nicht zu lang, lässt sich gut und pointiert vorlesen und ist auch für Leseanfänger durch unkomplizierten Satzbau und gut gewählte Schriftart leicht zu lesen. |
Inhalt | 10 | Freddy Fledermaus ist auf der Suche nach einem Zuhause. Da findet er einen Eichhörnchenkobel und zieht kurzerhand ein. Eddy Eichhorn erwacht und ist not amused. Er will den Eindringling schnellstmöglich wieder loswerden. Doch irgendwie hapert es an der Kommunikation per Brief - der Mitbewohner versteht den WInk mit dem Zaunpfahl nicht und erweist sich als sehr hartnäckig. Doch irgendwie schafft Freddy es mit seiner positiven Art, sich in Eddys Herz zu schleichen. |
Pädagogische Themen | 10 | Freundschaft Mut positives Denken Hilfsbereitschaft Gemeinschaft |
Pädagogischer Wert | 10 | Die Hartnäckigkeit und die grundpositive Einstellung Freddys führen dazu, dass Eddy seine griesgrämigkeit verliert und sich auf seinen anfangs unerwünschten Mitbewohner einlässt. Selten wurden die Komplikationen den Freunde findens niedlicher, witziger und anrührender erzählt. |
Schlüssigkeit/Logik | - | |
Kreativität | 11 | Ich muss hier einfach mal die Scala auf 11 Punkte erhöhen. Dieses Buch ist einfach sagenhaft witzig und kreativ! |