Fionrirs Reise

Fionrirs Reise, Andreas Arnold

„Ich bin jetzt schon ein großer Junge, oder?“ fragt mein Kind und schaut mich erwartungsvoll an. Gerade ist er auf bestem Wege, einen Schritt zu gehen, der ihn von den ganz kleinen Kindern unterscheidet und zu einem in seinen Augen wirklich großen Kind macht: Er geht zur Toilette.

Gerne bestätige ich meinem Kind, dass das eine besondere Leistung ist und dass ich es toll finde, dass er es geschafft hat. Auch wenn viele biologische und psychologische Komponenten dazu beitragen, dass ein Kind sich weiterentwickelt und etwas schafft, was es vorher noch nicht beherrschte, so ist ihm doch ein gewisses Maß an Eigenleistung nicht abzusprechen, denn letztlich musste er es selbst wollen und umsetzen. Und das hat er nun geschafft, der Große.

Und während er sich nun groß genug fühlt, um eine echtes Kindergartenkind zu werden, steht die große Schwester vor der nächsten großen Schwelle: dem Schulbeginn. Vorfreude und Angst wechseln sich nahezu stündlich ab, je näher der große Moment rückt. Nie geahnte Selbstzweifel werfen sie zurück, nur um am nächsten Tag mit größerer Neugier und Erwartung wieder aufzuwachen und sich vorzustellen, wie spannend und anders der Alltag als Schulkind sein wird – etwas, was sie sich doch nun seit anderthalb Jahren sehnlich wünscht.

 

Dass meine Kinder immer größer werden wollen, ist unbestritten. Sie ahmen uns nach in allem, was wir tun, vergleichen sich mit uns und hinterfragen unsere vermeintlichen tollen Vorrechte – wie abends länger aufbleiben und fernsehen zu dürfen, wann immer wir wollen zum Beispiel.

Es wird noch viele Jahre dauern, bis die Kinder erkennen, wie viel mehr dazu gehört, erwachsen zu sein, und dass Rechte auch Pflichten und Verantwortung mit sich bringen. Auf diesem Weg werden sie uns noch viel öfter und in viel bedeutenderen Punkten hinterfragen und sich vielleicht auch von uns abgrenzen und andere Entscheidungen treffen, als wir sie treffen würden. Dieser Prozess, so schwierig und schmerzhaft er für eine Familie sein kann, ist wichtig. Denn eines Tages werden unsere Kinder dann auch ohne unsere Hilfe mit den Folgen ihrer eigenen Entscheidungen umgehen müssen – und können.

Dass auch Eltern Fehler machen, falsche Entscheidungen treffen oder sich mal ganz klein und machtlos fühlen, macht die Sache mit den Vorbildern und der Orientierung der Heranwachsenden nicht gerade einfacher. Kaum vorzustellen, wie unsere Kinder eines Tages reagieren würden, wenn wir als Eltern etwas von ihnen erwarten, was so gar nicht mit ihrem Lebensplan und ihren Wertvorstellungen vereinbar zu sein scheint. Vielleicht ergeht es ihnen dann wie dem kleinen Drachen Fionrir. Der freut sich nämlich riesig auf seinen siebten Geburtstag, an dem er endlich richtig anerkannt und zu den erwachsenen Drachen gehören wird. Doch was, wenn er eigentlich gar nicht so ist, wie all die anderen Drachen zu sein scheinen?

Kurzrezension

Fionrir bekommt zu seinem siebten Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk: eine echte Prinzessin. Doch weder will Fio einen Menschen fressen, noch will er, dass sein großer Bruder, der das Geschenk offenbar selbst besorgt hat, das Mädchen Quirina auffrisst.

Da bleibt nur eins: Fio muss Quirina zu ihren majestätischen Eltern zurückbringen. Was er sich damit eingebrockt hat, wird ihm erst nach und nach klar. Denn zum einen steckt so eine Reise auch für einen fast ausgewachsenen Drachen voller Gefahren, zum anderen ist diese Prinzessin ein ziemlich eigenwilliges und anstrengendes Menschenkind.

Doch als sich ihre Wege durch die Hinterlist des Krämers Aigolf trennen, findet Fionrir überraschend neue Gefährten, die ihm bei der Suche nach Quirina helfen und sich sogar für dieses Ziel in Lebensgefahr bringen. Zusammen mit drei Wölfen und einem mutigen Hasen sowie mit der HIlfe vieler Tiere und einiger Menschen schafft Fio es, Wilderer und Piraten zu besiegen und die Fährte von Aigolf und der Prinzessin immer wieder aufzunehmen.

Als dann Drachenjäger auftauchen, wird es noch einmal besonders gefährlich für Fio und sein ungewöhnliches Rudel, denn die Mythen um das Drachenblut treiben die bösen Menschen voran. Doch Mut und Freundschaft lassen Fionrir über sich selbst hinauswachsen. Als das ungewöhnliche Rudel am Ende die Prinzessin wohlauf an den Hof von König Leontin bringt, erwartet Fio dort eine große Überraschung. Und er und der Leser erfahren endlich, wie es wirklich um die Drachen und Menschen steht und was es mit dem geheimnisvollen Pakt auf sich hat.

 

Andreas Arnold spricht mit diesem Kinderbuch nicht nur Drachen- und Fantasyfans an. Fionrirs Geschichte ist sinnbildlich für die Fragen von Kindern und Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Vorbilder und Rollen werden hinterfragt, die eigenen Werte entwickeln sich und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst mit jeder bestandenen Herausforderung. Fionrir beweist Mut und Verantwortungsgefühl, als er sich mit Quirina auf die Reise macht. Doch immer wieder kommen auch Ängste und Selbstzweifel auf, immer wieder scheitert er an sich selbst oder den Umständen seiner Reise. Und er fragt sich, wer er eigentlich ist und warum er so anders zu ticken scheint, als seine geliebte Drachenfamilie.

Die eine oder andere Wende in der Erzählung ahnt der Leser voraus, denn die Andeutungen sind vielleicht deutlicher, als geplant. Aber insgesamt wurde diese Geschichte spannend und abenteuerlich erzählt und auch der Humor kommt nicht zu kurz. Eine gewisse Tollpatschigkeit und Naivität des jungen Drachen durchbricht die Spannung auf so lustige und sympathische Weise, dass dieses Buch auch schon jüngeren Lesern zugetraut werden darf, und trotzdem die älteren Kinder nicht langweilt. Inhaltlich wichtige Kampfszenen werden kurz und vorsichtig genug beschrieben, um junge Leser nicht zu verschrecken.

Überrascht hat die Fülle pädagogischer Themen und Werte, die Arnold ganz nebenbei anspricht und vermittelt. Aus Fionrirs Geschichte lernt der Leser, wie wichtig es ist, auf sein Gefühl und seine eigenen Werte zu achten und sich nicht zu scheuen, andere Wege zu gehen, als die offensichtlich vorbestimmten. Vorurteile gegenüber Wölfen und anderen Tieren werden, teils aus der Not heraus, hinterfragt und widerlegt, ebenso, wie mit der Figur des Betrügers Aigolf vor Gutgläubigkeit gewarnt wird. Die amüsante Anbändelung eines Esels mit einer Pferdestute ist ein niedliches Zeichen gegen Vorurteile und – ja, irgendwie auch gegen eine Form des Rassismus‘. Und letztlich sind das sich Lösen von seiner Familie, der Aufbruch und der Versuch, des Drachens, auf eigenen Beinen zu stehen – oder vielmehr durch eigenen Flügelschlag zu fliegen – ein elementares Thema Heranwachsender, die sich mit ihrer Familie, ihrer Herkunft und ihrer Weltvorstellung und Lebensplanung auseinandersetzen.

Auch wenn am Ende trotz etwas langatmiger Aufklärungsreden von König und oberstem Drachen die Frage bestehen bleibt, woher Fio eigentlich diese einzigartige Gabe hat, in seiner Gegenwart Sprachbarrieren zwischen Menschen und Tieren schwinden zu lassen, so ist diese Geschichte doch von Anfang bis Ende schlüssig,lustig und spannend zugleich und lässt sich leicht und zügig lesen. Und da diese Geschichte als Trilogie angelegt ist, werden wir die Antwort auf diese Frage vielleicht auch schon im November erfahren, wenn die Publikation des zweiten Teils geplant ist.

Fionrirs Reise empfehlen wir uneingeschränkt allen Kindern, die Freude an phantasievollen, lustigen, spannenden und abenteuerlichen Geschichten um ungewöhnliche Freundschaften haben.

Altersempfehlung: 8-12 Jahre
Lesezeit/Volumen: 337 Seiten

Daten zum Buch „Fionrirs Reise“

Titel: Fionrirs Reise
Autor: Andreas Arnold
Verlag: Reimheim
Jahr/Auflage: 2017 / 3.

ISBN: 978-3945532102

Fionrirs Reise

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10Das schlicht aufgemachte Taschenbuch überzeugt sowohl durch das weiße Cover mit dem Drachenkopf, als auch mit den feinen Zeichnungen, die am Kapitelende noch einmal die Ereignisse und die Stimmung des Kapitels aufgreifen.
Text/Sprache10Der Text liest sich angenehm und die fremden Namen werden dem Leser schnell vertraut. Die Sprache ist angemessen für Leser ab 8-9 Jahren. Die Träume des Drachens werden durch Kursivschrift vom Fließtext abgehoben.
Inhalt10Ein kleiner Drache steht an der Schwell zum Erwachsenwerden, da wirft ihm seine Familie eine launische kleine Prinzessin zum Fraß vor. Fionrir aber möchte Quirina nicht fressen. Er beshcließt, sie nach Hause zu bringen, und die beiden machen sich auf eine gefährliche Reise, bei der sie getrennt werden und immer wieder in Gefahr geraten. Doch mit Mut, List und bunter Rudelbildung gelingt am Ende die Heimkehr Quirinas und das Geheimnis um einen historischen Pakt wird gelüftet.
Pädagogische Themen10Freundschaft
Mut
Traditionsbruch
Anders sein
Familie
Bestimmung
Pädagogischer Wert10Der Autor lässt den Leser an Fionrirs Geschichte erkennen, dass Traditionen - echte oder weniger echte - durchaus hinterfragt werden dürfen und jeder seinen eigenen Weg finden und gehen sollte. Auch Freundschaft und Liebe dürfen sich in Fionrirs Welt von Gewohnheiten und Klischees trennen und neue Wege beschreiten.
Schlüssigkeit/Logik8Leider wird am Ende nicht aufgeklärt, wieso Mensch und Tier sich bei Anwesenheit von Fio verstehen können.
Kreativität10