Alles Familie!

Alles Familie!_Alexandra Maxeiner_Anke Kuhl

Alles Familie! Alexandra Maxeiner, Anke Kuhl

„Mama, ich will aber, dass meine Freundin JETZT herkommt!“ „Sie kommt aber erst heute Nachmittag, du musst dich schon gedulden.“ „Ich will aber, dass sie JETZT kommt, jetzt SOFORT!“ „Das geht aber nicht, sie ist doch noch gar nicht beim Papa.“ „Wieso nicht?“ „Na, weil sie noch in der Stadt bei ihrer Mutter ist!“

Eigentlich weiß mein Kind, dass die Eltern ihrer Freundin nicht zusammenleben. Aber heute will sie es genauer wissen: „Wieso wohnt der Papa nicht bei ihr und ihrer Mutter?“ „Na, weil ihr Papa und ihre Mama sich nicht mehr lieb haben und der Papa lieber mit seiner neuen Frau zusammen wohnen möchte, denn die haben doch auch zwei Kinder. Das sind doch die Halbgeschwister von Deiner Freundin.“ „Was ist Halbgeschwister?“

 

Ich merke, dass dieses Gespräch etwas ausführlicher werden muss. „Na, wenn zwei Kinder zum Beispiel denselben Papa haben, aber unterschiedliche Mamas, dann sind sie Halbgeschwister. Das ist bei deiner Freundin so. Und der Papa wohnt nur mit der Mama von dem kleinen Baby zusammen, und nicht mit der Mama von deiner Freundin.“ „Aber wieso?“ „Na, weil er das nicht mehr möchte.“

Ganz zufrieden ist mein Kind mit dieser Antwort noch nicht. „Aber unser Papa wohnt doch auch bei uns!“ Da hat sie recht, und ab diesem Punkt muss ich vorsichtig sein, wertungsfrei zu bleiben, wenn ich nicht unser Familienmodell über das anderer stellen möchte. „Dein Papa und deine Mama haben sich lieb und wollen zusammen wohnen. Aber manchmal haben Menschen sich nur eine zeitlang lieb und bekommen ein Kind, und dann entscheiden sie später, dass sie nicht mehr zusammenleben wollen. Deshalb wohnen manche Kinder nur bei ihrer Mutter oder nur bei ihrem Vater.“

 

Um die Dinge weniger abstrakt wirken zu lassen, werfe ich noch ein: „Das ist so wie bei deinem Onkel: Der hat drei Kinder, aber er wohnt nur mit deiner Cousine und der Mama zusammen und nicht mit der Mama von deinen Cousins.“ Mein Kind kann das gar nicht glauben. „Der Onkel hat doch keinen Sohn!“ „Doch, aber die hast du noch nicht so oft gesehen, und da warst du auch noch recht klein, deshalb erinnerst du dich nicht.“ Ihr skeptischer Blick zeigt mir, dass wir noch öfter darüber reden werden.

 

Und da wir schon einmal dabei sind, erzähle ich meinem Kind nun auch, dass sich die Eltern von einem weiteren Spielkameraden kürzlich getrennt haben, und dass es sein kann, dass ihr Freund nun manchmal traurig oder wütend ist, weil Kinder es oft nicht gut finden, wenn ihre Eltern sich trennen und sie nur noch bei einem von beiden wohnen.

So richtig glauben möchte mir mein Kind auch das nicht. Schließlich waren Mama und Papa von ihrem Freund doch erst neulich beide noch bei der Oma. Aber da klingelt es an der Tür und ihre Freundin wird vom Papa gebracht. Die beiden Kinder spielen und das Thema ist erst einmal vom Tisch.

 

Aber es wird wieder aufkommen, denn es gibt viele unterschiedliche Patchworkfamilien in unserem Bekannten- und auch Verwandtenkreis. Ist ja auch normal, mittlerweile, oder? Es ist manchmal etwas verwirrend und kompliziert für Außenstehende, sich zu merken, wer mit wem wie verwandt ist. Und es ist sicher auch organisatorisch für viele eine Herausforderung, zwischen verschiedenen Haushalten zu pendeln. Aber letztlich ist es doch „Alles Familie!“

Kurzrezension

Dieses mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Sachbuch stellt auf unterhaltsame, anschauliche und ehrliche Weise verschiedenste Familienkonstellationen vor. Der Untertitel „Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten“ lässt schon erkennen, wie kompliziert diese Modelle sein können.

 

Angefangen mit der Rudelbildung bei den Wölfen und den Gruppen der Höhlenmenschen über einstige Großfamilien führt uns dieses Bilderbuch zur sogenannten Bilderbuchfamilie: Mama, Papa, Tochter, Sohn, Haustier und natürlich die Großeltern. Streit zwischen Geschwistern, Geschwisterliebe und Streit zwischen Eltern, der zur Trennung führt, werden dargestellt.

Das Buch zeigt uns die Vor- und Nachteile von Einzelkind- und Trennungskindstatus, um dann auf Seite 6+7 in einer doppelseitigen Grafik eine mögliche Patchworkfamilienkonstellation darzustellen. Dies geschieht mithilfe bunter Pfeile und ist naturgemäß etwas verworren. Wer das alles wertungsfrei erklärt hat, darf seine Toleranz auf der folgenden Seite unter Beweis stellen, wenn die Regenbogenfamilien vorgestellt werden.

 

Weiter geht es zur Auflockerung mit dem in Familien üblichen Sprachgebrauch, den unterschiedlichsten Anreden für die Eltern und den lustigen Kosenamen für die Kinder. Anschließend werden Adoption und die Gefühle einer Halbwaisin erklärt und die unterschiedlichsten Beziehungen von Kindern zu ihren Stiefeltern werden dargestellt. Über das Thema Verwaisung und Kinderheim gelangt dieses Buch nun zu den Unterschieden von Blutsverwandtschaft und Wahlverwandtschaft, und bietet mit dem gerahmten Bild von Schildkröte „Schildegard“ und den Blutsbrüdern Winnetou und Old Shatterhand für groß und klein erneut Anlass zum Schmunzeln.

 

Familienähnlichkeit, Vererbung und Mehrlingsgeburten bieten die Möglichkeit, mit den Kindern zu überlegen, welche Besonderheiten es in der eigenen Familie gibt. Nach diesem etwas leichterem Thema wird darauf eingegangen, wie die Menschen innerhalb einer Familie miteinander umgehen. So gibt es liebevolle Familien, in denen Gefühle zugelassen und besprochen werden, streitende und zerstrittene Familien und leider auch Familien, in denen Gewalt zum Alltag gehört.

 

Aus diesen traurigen Bildern holen uns dann wieder lustigere Vergleiche von lauten, leisen, bequemen und ständig umherhetzenden Familien heraus. Schlussendlich wird auf einer Doppelseite Raum geboten, die eigene Familie darzustellen, in Wort und Bild, um deren Einzigartigkeit zu erkennen.

 

Dieses Buch hat einen Platz in allen Familien, Kindergärten und sonstigen sozialen Gefügen und pädagogischen Einrichtungen verdient. Es bleibt sachlich und wertungsfrei, ist ausgesprochen informativ, dabei gleichzeitig unterhaltsam. Die teils verwirrende Bild- und Textführung passt zum Kontext der nicht immer ganz unkomplizierten Familienbande. Leise und sachliche Aufklärung und Aufruf zu Verständnis und Toleranz – besser kann man es nicht umsetzen.

Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten

Daten zum Buch „Alles Familie!“

Titel: Alles Familie!
Autor: Alexandra Maxeiner, Anke Kuhl
Verlag: Klett Kinderbuch
Jahr/Auflage: 2011/3.

ISBN: 978-3941411296

Alles Familie!

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung9Hardcover, DinA4
Das graublaue Cover wirkt etwas spröde, aber die Figuren sind witzig und mit Finesse sehr ausdrucksstark gezeichnet. Die sehr chaotisch wirkende Anordnung von Bildern und Textpassagen hat Comiccharakter und erschwert ein wenig das Vorlesen, man muss zur Verdeutlichung mit dem Finger auf das entsprechende Bild zeigen.
Text/Sprache9Sehr sachlich und trotzdem lustig geschrieben
Der Text findet sich über die Seiten verteilt jeweils bei den darin beschriebenen Zeichnungen. Sprechblasen, Pfeile mit Beschriftung und Unterschriften lockern das Textbild auf, stiften aber auch etwas Verwirrung beim Vorlesen,
Inhalt10Dieses Buch stellt auf sehr sachliche Weise die unterschiedlichsten Familienformen vor. Dabei wird nicht nur der Begriff Familie sehr weit gefasst, sondern auch die Umgangsweise und die Gefühle, die Menschen innerhalb unterschiedlichster Familien pflegen und empfinden, werden anschaulich und nahezu ohne Wertung dargestellt.
Pädagogische Themen10Familie
Toleranz
Anders sein
Liebe
Eifersucht
Trauer
Pädagogischer Wert10Dieses Sachbuch zeigt Eltern wie Kindern die Notwendigkeit, über den eigenen Tellerrand zu sehen, um das Leben der Anderen zu verstehen und zu tolerieren.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10Hier werden nicht nur die unterschiedlichen Familienformen dargestellt, sondern es wird auf sehr gute und witzige Weise gezeigt, dass auch scheinbar normale Familien sehr unterschiedlich und eigen sind.