Mein Hilfeschrei war eindeutig: Kinder, Hund mit langem Fell, Hühner und diverse weitere Tiere, dazu eine niemals zu enden scheinende Wohnbaustelle – wer soll gegen den Schmutz ankommen? Zumal die Quadratmeter nicht nur in großen Mengen vorhanden, sondern meist auch noch mit Papierschnipseln, Puppen, Bällen, Filzstiftkappen und Bobby Cars garniert sind.
Vor jedem Saug-, Fege- oder Wischvorgang muss ich erst einmal eine Stunde des Aufräumens vornehmen. Lasse ich mir von den Kindern dabei helfen, lernen sie zwar etwas, aber die Aufräumzeit multipliziert sich dann mit zwei.
Dann aber, vor ein paar Wochen, kam der Tag, an dem die Garantie des Staubsaugers seit zwei Monaten ausgelaufen war und er seine Pflicht als erfüllt ansah, sprich: Irreparabler Defekt. Eine Zeitlang überbrückten wir diesen Zustand mit einem großen Besen und vielen Flüchen, denn wir hatten ja gerade erst in eine neue Waschmaschine investiert.
Doch dann kam mein Mann mit einem neuen Wunderwerk nach Hause, das mein Leben für alle Zeit – oder zumindest bis die Garantie auslaufen würde – um einiges erleichtern sollte: Einem Saugroboter.
Erwartungsvoll sah mein Mann mich an und erwartete Begeisterungsstürme. Was ihm begegnete, war erst einmal Skepsis: „Wie teuer? Was wird der Hund dazu sagen? Lassen die Kinder ihn in Ruhe? Aufräumen tut er wohl nicht, oder?“
Nun, wir hatten unsere Startschwierigkeiten, der Kobold und ich, doch das ist eine andere Geschichte. Alles in allem erwies er sich in den letzten Wochen tatsächlich als Erleichterung. Zwar musste ich immer noch vor dem Saugvorgang das gesamte Haus aufräumen, doch dann hatte ich gute zwei Stunden Zeit. Nein, nicht für mich, aber immerhin für die Wäsche, das Geschirr, zum Kochen, für’s Lektorat – oder sogar für die Kinder. Beschäftigungen, von denen sonst immer mindestens zwei gleichzeitig laufen mussten.
Die Kinder mussten freilich mitspielen und den Roboter 1. Nicht anfassen und 2. Während des Saugens nichts herunterwerfen, was im Prinzip zu 3. führte: Die Etage während des Saugvorganges meiden. Das klingt schlimmer, als es ist, denn Kobolds Hauptaufgabe ist das Erdgeschoss, und das Kinderzimmer befindet sich treppaufwärts. Wenn da nicht lautstark alle fünf Minuten die Behauptung meines Kindes durchs Haus schallen würde: „Im Kinderzimmer ist es sooooo laaangweilig!!! Und der Lütte bestätigt: „Mama? Dangdeilig, runter!“
Das scheint mir unbegreiflich, denn die beiden haben ein Zimmer, von dem ich in meiner Kindheit nur geträumt hätte, inklusive Kletterwand und Kissenschlachtecke. Natürlich spiele ich auch gerne mit ihnen im Kinderzimmer, baue Burgen, Höhlen, Legozoo und die Eisenbahn auf. Aber ich kann meinen Kindern nunmal keine 24 Stunden Dauerbespaßung bieten. Will ich eigentlich auch gar nicht. Ich finde, sie müssen sich auch mal selbst beschäftigen.
Das können sie auch einigermaßen gut. Sie rücken Möbel, ziehen Spielsachen aus dem Regal und bauen Kissenburgen. Nach zehn Minuten sind sie fertig und das Kinderzimmer ist unfallfrei nicht mehr zu betreten. Während ich mal wieder nebenan am Schreibtisch arbeite und der Kobold unten seine Runden dreht, geht deshalb immer wieder diese Kinderzimmertür auf. Und die nur wenigen Variationen der einen Fragestellung erklingen: „Können wir JETZT nach unten? Wie lange MÜSSEN wir denn oben bleiben? Wann DÜRFEN wir denn endlich nach unten gehen?“
„Och, Ihr DÜRFT immer nach unten, dies ist ein freies Haus“, erkläre ich unvorsichtig. „Ich möchte nur nicht, dass Ihr das Wohnzimmer genauso verwüstet, wie das Kinderzimmer. Ist das verständlich?“
„Na klar“, sagt mein Kind, und zum Bruder gewandt brüllt sie: „Wir dürfen ins Wohnzimmer. Wir dürfen es nur nicht so wüstig zerwüüüsteen.“ Triptriptrip geht es treppabwärts und ich rufe noch ein: „Aber lasst den Staubsauger seine Arbeit machen!“ hinterher. Die Geräusche, die alsbald von unten heraufklingen, lassen aber irgendwie Zweifel aufkommen, dass die Kinder unter „nicht verwüsten“ dasselbe verstehen, wie ich. Na, immerhin ist ihnen nicht mehr langweilig…
Kurzrezension
Lara ist es langweilig. Und deshalb sieht für sie alles grau aus, ihr ganzes Spielzeug und sogar ihr Freund Bo, der sprechende Holzlöffel. Sie beschwert sich bei Mama, dass alles langweilig und grau ist. Doch Mama meint, das läge sicher nur an ihrer Sonnenbrille. Die will Lara freilich nicht abnehmen, weil es insgeheim eine Schutzbrille ist, die sie davor schützt, selbst langweilig grau zu werden.
Was tun gegen die Langeweile? Mamas Vorschläge hat Lara schon alle durch, die bringen heute einfach keinen Spaß und sind doof und eben langweilig. Als Lara frustriert gegen einen Bauklotz kickt und dieser im Garten gegen die Schaukel knallt, läuft das Mädchen hinterher. Doch auch im Garten findet sie es langweilig.
Vielleicht braucht sie mal etwas Neues, überlegt sie. Neues Spielzeug kaufen will Mama aber nicht, sie meint, Lara hätte genug Spielzeug. Aber was soll sie spielen, wenn doch alle ihre Spielsachen grau und langweilig sind? Lara meint, ihr Kopf fühle sich schon ganz schwer an vor lauter Nachdenken. Und da macht Mama einen ganz absurden Vorschlag: Lara soll einfach mal gar nichts machen. Gar nichts machen? Wie geht das denn? Ist das nicht erst recht langweilig?
Lara macht doch sonst immer was: Mit Oma ins Ballett gehen, oder mit ihren Freunden Geburtstag feiern oder in die Musikschule gehen. Und jetzt soll sie gar nichts machen? Doch während Lara so auf ihrem Bett liegt und gar nichts macht, merkt sie, dass es auch ganz angenehm sein kann, sich mal nicht beeilen zu müssen, keinen Termin zu haben, einfach mal gar nichts müssen.
Lara merkt, dass ihr Kopf gar nicht mehr so schwer ist. Sie nimmt den Wind wahr, der ihre Gardinen ins Zimmer weht und in ihrer Phantasie zu Gardinengespenstern werden lässt. Und dann erkennt Lara, dass Langeweile gar nichts Schlechtes ist, weil ihr während des Nichtstuns ganz viele lustige Sachen und neue Spiele einfallen. Das gefällt auch Herrn Bo.
Die Geschichte ist niedlich erzählt und sehr schön und sympathisch gezeichnet worden. Die Mutter mit dem Handtuch auf dem Kopf, die nicht einmal in Ruhe Haare waschen kann, weil ihre Tochter nach Unterhaltungsprogramm und Bespaßung verlangt, ist so authentisch, dass man sich schnell in dem Bild wiedererkennt.
Schade ist, dass die schöne Metapher der Langeweilewolke aus dem Buchtitel nur zu Beginn herangezogen wird. Sie schwebt zwar die ganze Geschichte über um Laras Kopf, wird jedoch im Text nicht mehr aufgegriffen. So geht auch ihr Verschwinden während Laras Gedankenspaziergang beinahe unter.
Während Lara jedenfalls so in ihrer Lustlosigkeit schwelgt, denkt sich der Betrachter: Das Kind SPIELT doch etwas. Etwas, wobei es Phantasie und Kreativität mit einfachsten Mitteln anregt. Denn Lara hat sich einen eigenen Gesprächs- und Spielpartner erschaffen, der eigentlich immer da ist: Herrn Bo, einen sprechenden Holzlöffel mit grüner Krawatte. Das Kreativpotential dieses Kindes ist durchaus hoch. Nur kommt sie einfach vor lauter Unternehmungen manchmal nicht dazu, abzuschalten und den Kopf frei werden zu lassen.
Diese Geschichte ist eine Ermutigung zur Entschleunigung des Alltags, zum Faulenzen und Fliegenlassen der Gedanken. Dass es an solcher freien Langeweilezeit selbst den Kindern heutzutage schon mangelt, ist gar nicht so selten. Kindergarten, Schule, Sportverein, künstlerische Frühförderung und Spielen mit Freunden – da bleibt kaum Zeit für Langeweile. Was wir Eltern oft fördern, aus Angst, dem Kind nicht genug Input zu bieten, ist manchmal des guten Willens etwas zu viel.
In diesem Sinne: Einfach mal Tempo rausnehmen.
Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten
Daten zum Buch „Lara und die Langeweilewolke“
Titel: Lara und die Langeweilewolke
Autor: Vivien Horesch, Elke Broska
Verlag: albarello
Jahr/Auflage: 2015
ISBN: 978-3865590886
Lara und die Langeweilewolke
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 9 | Besagte Wolke wird nur eingangs kurz erwähnt. Sie schwebt zwar die ganze Zeit um Laras Kopf herum, wird aber gar nicht im Text aufgenommen. |
Aufmachung | 10 | Hardcover Din A4 hauptsächlich ganz- und doppelseitige BIlder, bunt, sympathisch und authentisch |
Text/Sprache | 9 | Der Text ist lebendig und gut vorzulesen. Leseanfänger finden ihn gut proportioniert und in kurze Absätze unterteilt vor, werden aber bei einigen längeren zusammengesetzten Wörtern wie Babygardinengespenster und Sachenherausfinder etwas Hilfe brauchen. |
Inhalt | 10 | Lara langweilt sich und das gefällt ihr gar nicht. Aber auch Mama hat keine tolle Idee parat. Doch bevor sich der Frust bei Lara und ihrem Freund, dem sprechenden Holzlöffel ganz breit macht, fällt ihr vor lauter Nichtstun schließlich selbst etwas ein, was sie spielen könnte. |
Pädagogische Themen | 10 | Langeweile aushalten den Kopf frei bekommen Gedanken frei entfalten Tempo reduzieren und Alltag entstressen sich selbst beschäftigen können |
Pädagogischer Wert | 10 | Dieses Buch zeigt die Vorteile eines weniger durchgeplanten Alltags für Kinder: Sie entwickeln eigene Ideen. |
Schlüssigkeit/Logik | 10 | |
Kreativität | 10 |