„Maus, möchtest du heute baden?“ fragte ich scheinheilig. „Jaaaa!“, ruft mein Kind voller Überzeugung und Vorfreude. „Okay, dann lass ich dir Badewasser ein. Du kannst ja schonmal gucken, welches Spielzeug du mit ins Wasser nehmen möchtest.“
Ich mache mich auf den Weg ins Bad und hab noch keine zweihundert Milliliter Wasser eingelassen, da steht schon mein bis auf die Windel ausgezogenes Kind neben mir und kann es kaum erwarten, zum Plantschen in die Wanne zu klettern. An anderen Tagen braucht es Stunden, sich auszuziehen und bettfertig zu machen, aber es muss nur das Wort „baden“ fallen, da fliegen Pulli, Shirt und Hose in Sekundenschnelle in den Wäschekorb. Ich überreiche dem Kind die Brause, denn ich weiß, wie gern es das Wasser selbst einlässt und dabei zuschaut, wie sich aus den wenigen Tropfen Badezusatz ein flockiger dichter Schaum bildet.
Das erinnert mich daran, dass ich früher mindestens genauso gerne gebadet habe. Damals hatten wir keinen pinken oder türkisen Badezusatz von Lillifee und Co.. Ich habe Seife in einen nassen Schwamm gerieben und den Schwamm immer wieder untergetaucht und durchgeknetet, bis ich genug Schaum zum Bergebauen produziert hatte. Nach dem Baden ging es im Bademantel auf die Couch zum Samstagabendfamilienfernsehprogramm. Es gab auch immer etwas zum Knabbern dazu. Samstag war eben Badetag. Und das wurde immer ganz traditionell zelebriert.
Heutzutage ist alles etwas anders. Die Kinder baden, wenn sie sich besonders schmutzig gemacht haben, oder wenn sie Lust dazu haben, oder wenn vor dem Sandmännchen noch Zeit totzuschlagen ist. So wie heute. Und weil die Stimmung grad so gut ist, erinnere ich mein in die Wanne kletterndes, seine Badepuppe unterduckerndes Kind an eine klitzekleine Negativseite, die so ein Badetag mit sich bringt: „Spatz?“ „Ja?“ „Du musst aber auch Deine Haare waschen, ja?“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein, heute nicht.“ „Doch, es muss sein, die Haare sind schon ganz verfilzt und dreckig.“ „Nein, gar nicht.“ „Und außerdem hast du dir da heute in der Sandkiste die ganze Schaufel drüber ausgekippt.“ „Das ist nicht schlimm, Mama.“
Das „Nein“ meines Kindes klingt sehr überzeugt und gefestigt und ich gerate kurz ins Wanken. Haben wir nicht erst letzte Woche die Haare gewaschen? Kann ich den Sand vielleicht einfach ausbürsten? Aber ehrlich gesagt ist das Haare bürsten auch nicht gerade eine unproblematische Angelegenheit zwischen uns. Sie liegt auf der Rangliste unserer großen Mama-Kind-Kämpfe auf Rang drei, direkt hinter Haare waschen und Zähne putzen. Und wenn ich es recht überlege, war außer Sandkastensand heute auch der Tuschepinsel im strohblonden Schopf unterwegs.
Es hilft alles nichts, wir müssen da durch. Ich versuche es noch einmal mit gut zureden. „Bitte versuch mal, sie dir selbst zu waschen. Und wenn es nicht klappt, mach ich das, okay? Maus? Hallo? Spatz, ich rede mit dir! Wäscht du dir bitte heute die Haare? Mit deiner Gießkanne? Oder soll ich das machen? Maus? Hm? Ich mach auch ganz schnell! Mach die Augen zu, ich spüle nur schnell aus, das geht ganz schnell, und dann geb ich dir gleich das Handtuch. Und dann kannst du weiterspielen.“ „Nein.“ „Bitte.“ „Neeeeiiiiin!“ Die Badepuppe wird zur Bekräftigung mit Schwung in die Wanne geschleudert. Ich wische mir den Lillifee-Badeschaum aus den Augen und resigniere.
Hab ich mich eigentlich auch so angestellt, als mir die Haare gewaschen wurden, damals, am Samstag, am geliebten Badetag? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie machen das denn andere Leute? Bin ich denn die einzige Mutter auf der Welt, die jede Woche diese Szene provoziert, wenn sie sie nur ausspricht, diese bedrohlichen Worte: „Haare waschen“?
Kurzrezension
Das Kinderbuch „Haarwaschtag“ von Ruth Löbner und Christiane Hansen ist ein Schatz aus der Bücherkiste der Leihbibliothek, der hiermit wärmstens allen Eltern ans Herz gelegt wird, die schon einmal in der Situation waren, ihren Kindern etwas Unangenehmes aufzwingen zu müssen. Also quasi allen.
Mama und Emily haben ein Problem: Emily fürchtet sich vor dem Haarewaschen. Und zwar so sehr, dass sie in Panik gerät, sobald ihr Wasser über den Kopf rinnt. Dann schreit sie so schrecklich, dass Mama die Fenster schließen muss. „Damit die Nachbarn nicht denken, ich werde gehauen“, erklärt Emily ihrem Vater. Doch Papa macht ein „Papperlapapp-Gesicht“ und denkt sich eine Strategie aus, wie er Emily ganz problemlos die Haare waschen kann. Und als das nicht hinhaut, denkt er sich etwas Neues aus – und noch etwas Neues, und auch das funktioniert nicht. Papa ist wirklich einfallsreich. Doch am Ende ist Papa genauso verzweifelt und ratlos, wie Emily und Mama. Papa gibt schließlich auf und lässt Emily kurz in der Badewanne alleine, um Mama zu holen. Doch als die Eltern zurückkommen, sind sie überrascht – und glücklich. Denn Emily hat in ihrer Abwesenheit einen Weg gefunden, wie sie sich ganz alleine die Haare waschen kann – ohne Panik und ohne Schrei. So soll Emily sich denn auch fortan immer alleine die Haare waschen, ganz selbständig und ganz ohne Panik.
Die Geschichte von Emily, die den Dienstag, den Haarwaschtag, genauso fürchtet, wie ihre Mama, ist so erfrischend authentisch, komisch und alltagsnah geschrieben, dass man am Ende am liebsten genauso erleichtert wie Emily, Papa und Mama gemeinsam auf die Couch fallen möchte. Die Zeichnungen von Christiane Hansen drücken die Mimik der drei Protagonisten wunderbar treffend aus. Und obwohl man sich auf Emily und ihren Papa bei der gemeinsamen Mission Impossible des Haarewaschens konzentriert, entdeckt man auf jeder Doppelseite ein paar possierliche Nebencharaktere wieder, die ihrerseits die Stimmung von Emily und Papa aufnehmen und „mitleiden“: Eine Katze, einen Frosch und eine Quietscheentenfamilie.
Selten, wirklich selten findet man solch ein mitreißendes, lebensnahes und witziges Buch. Das Resümee meines Kindes am Ende des Buches war übrigens: „Mama, ich brauche auch so eine Taucherbrille.“ Wir werden es damit versuchen.
Altersempfehlung: 2,5-7 Jahre
Vorlesezeit: 5 Minuten
Daten zum Buch „Haarwaschtag“
Titel: Haarwaschtag
Autor: Ruth Löbner, Christiane Hansen
Verlag: Thienemann
Jahr/Auflage: 2011
ISBN: 978-3522436410
Haarwaschtag
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
---|---|---|
Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover ganzseitige Zeichnungen Die Darstellung der Charaktere ist so herrlich treffend, wie man sie selten in einem Kinderbuch findet. Es wirkt, als hätten Autorin und Grafikerin beeinander gesessen und gemeinsam die Figuren entwickelt, denn der Text und die Mimik von Mama, Papa und Emily sind Topf und Deckel im besten Sinne. |
Text/Sprache | 10 | Sowohl zum Vorlesen als auch für Erstleser ist dieser Text bestens geeignet. Über die wenigen verblosen Sätze schaut man gerne hinweg, denn die Sprache ist herrlich erfrischend gewählt. Man wird geradezu animiert, beim Vorlesen die Stimme rollengerecht zu heben und zu senken und mit den Figuren zu kreischen und zu resignieren. |
Inhalt | 10 | Emily steht für viele, viele kleine Kinder, die das Baden lieben, aber das Haarewaschen fürchten. Dadurch kann fast jede Mutter nachempfinden, wie sich Emilys Mutter fühlt, wenn sie ihr Kind auf das dienstagabendliche Drama vorbereiten muss. Doch diese Woche ist alles anders: Papa hat heute frei und weil er keine Ahnung hat, was am Haarewaschen so schlimm sein soll, übernimmt er es heute. Papas Optimismus, Papas mehrfaches Scheitern, Papas Verzweiflung und Resignation sind so urkomisch und authentisch dargestellt, dass das Vorlesen der ganzen Familie Spaß bringt. |
Pädagogische Themen | 10 | unangenehme Pflichten elterliche Aufgabenteilung Selbständigkeit des Kindes Körperpflege |
Pädagogischer Wert | 10 | Das kennt jede Familie: Es gibt Dinge im Leben, die müssen einfach mal gemacht werden, um Schlimmeres zu verhindern. Dazu gehört ein gewisses Maß an Körperhygiene, und diese schließt das Haarewaschen ein. Sein Kind zu etwas zwingen zu müssen, was es fürchtet, ist für Eltern eine ganz unangenehme Situation. Alle würden sich gerne davor drücken. In diesem Buch wird auf die Not aber auch den Ideenreichtum der Eltern eingegangen, die alles versuchen, das Unangenehme für ihr Kind irgendwie erträglich hinzubekommen. Am Ende muss auch Papa resigniert aufgeben. Doch dann geschieht das Unerwartete: Emily schafft es ganz alleine, den Schaum aus ihren Haaren zu spülen, aus purem Zufall findet sie einen Weg dafür. Und somit geht sie einen Schritt in Richtung Selbständigkeit, denn fortan darf sie sich die Haare selber waschen, und ihre Eltern müssen sie nicht mehr zwingen. |
Schlüssigkeit/Logik | 8 | Eine tolle Idee, leider hapert es ein wenig an der Umsetzung, denn das Problem beim Haarewaschen sind leider nicht die Haarspitzen und Längen, sondern vor allem die Kopfhaut. Und die bekommt das Kind bei aller Selbständigkeit mit der hier angebotenen Methode leider nicht schaumfrei. |
Kreativität | 10 |