„Wenn ich so groß bin wie du, dann kann ich endlich ein Pony haben. Und ein Pferd,“ erklärt mir mein Kind heute. „Ja, wenn du älter bist und dein eigenes Geld verdienst und es dir leisten kannst, dann darfst du dir ein Pony kaufen,“ sage ich.
– „Dann wirst du nur keines mehr wollen,“ füge ich in Gedanken hinzu. Ich spreche es nicht aus, denn für mein Kind ist es außerhalb seiner Vorstellungskraft, dass jemals ein Tag kommen könnte, an dem die heute größten Wünsche nicht mehr die größten oder gar überhaupt keine mehr sein könnten.
Mit vier Jahren ist es schwer, sich vorzustellen, wie man den Rest seines Lebens auch ohne Pony glücklich sein kann, sogar ohne Glitzerhaarreif und ohne Murmelsammlung. Denn irgendwann ändern sich die Vorstellungen von Glück und Reichtum und damit auch die Zukunftswünsche der Menschen. Sie werden zum Smartphone oder Auto, zum Eigenheim oder zum Schmuckstück.
Aber auch wenn sich die materiellen Wünsche im Heranwachsen ändern, so gibt es sie doch fast immer und für jeden von uns: Die Dinge, die man besitzen möchte. Dinge, die einem unheimlich gut gefallen und die fast alles andere in den Hintergrund drängen.
Eltern mehrerer Kinder stecken in dem Dilemma, dass Kindern oftmals dieselben Dinge gleich gut gefallen – und zwar ganz genau zur gleichen Zeit. Dann entbrennt zuweilen ein fürchterlicher Streit um etwas in Elternaugen letztlich doch so Unwichtiges, dass man alles daran setzt, den Familienfrieden schnellstens wieder herzustellen. Dafür gibt man dann auch gerne einen Teil seines eigenen Schatzes, sprich Kleingeldes aus, damit zwei gleiche Flummis, Glubschaugenseerobben oder Aufziehclownfische in die Kinderhände wandern und Neid und Eifersucht verhindern. Das geht genau so lange gut, so lange keiner der beiden Flummis im Kinderzimmerchaos verloren geht und keiner der Aufziehfische im Spieleifer eine Flosse verliert.
Wenn Besitz zu Neid und Ärger führt, ist der Zeitpunkt gekommen, abzuwägen, was einem wichtiger ist: Friede und Freundschaft oder Reichtum um jeden Preis.
Auf drei von fünf Kindergeburtstagen, auf denen mein Kind in den letzten Wochen war, gab es eine Schatzsuche. Benjamin Blümchen hat schon zwei Schatzsuchen in unserem CD-Spieler veranstaltet und auch Bibi Blocksberg und Lauras Stern bieten Schatzsuchegeschichten zum Lesen und Angucken. Die Begeisterung meines Kindes für Schätze, Schatztruhen und „Edelsteine“ ist für mich absolut nachvollziehbar. Ich würde mich ja selbst nicht über einen Lottogewinn beschweren.
Umso ungewöhnlicher ist, was in diesem uns vor ein paar Tagen in die Hände gefallenen Bilderbuch mit einem möglichen wunderschönen Schatz geschieht. „Die Perle“ von Helme Heine brachte mein Kind vom Spieltag mit dem Nachbarsenkel mit. Eine freundliche schwerkranke Frau aus unserer Nachbarschaft hatte sich zu den Kindern gesellt und ihnen mehrere Bücher vorgelesen und geschenkt. Diese Geste, diese geschenkte Zeit, war für die beiden Kinder mehr wert, als sie vielleicht in diesem Moment selbst begreifen konnten. Und den anschließend geschenkten Bücherschatz von 1984 möchten wir hier mit Euch teilen, als Buch der Woche.
Kurzrezension
Biba, der kleine Biber, findet beim Spiel mit seinem Segelboot eine Flussperlmuschel. Natürlich liegt eine Perle darin, ganz klar, da muss Biba gar nicht erst nachsehen. Stattdessen träumt der kleine Nager davon, wie er mit diesem wunderschönen Schatz um den Hals durch den Wald spaziert und alle seine Tierfreunde ihn um die Schönheit seines Schatzes beneiden.
Doch dann verselbständigt sich Bibas Traum. Der eben noch als erstrebenswert erachtete Neid der anderen wendet sich plötzlich gegen ihn. Die anderen wollen auch Schätze finden. Auf ihrer gierigen und rücksichtslosen Schatzsuche zerstören sie zuerst das Vertrauen zueinander, dann den mühevoll aufgebauten Stausee des Bibers und schließlich, durch Unachtsamkeit, entzünden sie den ganzen Wald und verbrennen allesamt.
Da wacht der kleine Biber glücklicherweise aus seinem Tagtraum auf. Seine Perlmuschel, die er zuvor noch ganz verträumt angesehen hat, betrachtet er nun mit anderen Augen. Wenn Reichtum solchen Neid zur Folge hat, dann mag Biba lieber nicht reich sein. Er nimmt die Muschel mit dem vermuteten Schatz darin und flippt sie in seinen geliebten Stausee. Sie flippt siebenmal über das Wasser, bevor sie versinkt. Eine Meisterleistung! Biba ist erleichtert und schwimmt rasch seinem Spielzeugboot hinterher, hinüber zu seinen Freunden, die schon auf ihn gewartet haben.
Der kleine Biber muss gar nicht aussprechen, was dem erwachsenen Vorleser sofort klar wird, aber was auch Kinder schnell begreifen: Biba ist schon reich, denn er hat ein schönes Zuhause und Freunde. Und er weiß, die Prioritäten richtig zu setzen und lernt zu schätzen, was er hat und was er ist.
„Die Perle“ ist nahezu philosophisch angelehnt und dennoch so einleuchtend, dass man sie hervorragend heranziehen kann, um mit Kindern über Werte, Reichtum und Neid zu sprechen. Dabei ist das Buch gleichzeitig so liebevoll gezeichnet und kurzweilig geschrieben, dass es als Vorlesebuch ebenso geeignet ist, wie als Lektüre für werdende Leseratten.
Altersempfehlung: 4-8 Jahre
Vorlesezeit: 5-6 Minuten
Daten zum Buch „Die Perle“
Titel: Die Perle
Autor: Helme Heine
Verlag: Middelhauve
Jahr/Auflage: 1984
ISBN: 378-7691766
Die Perle
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 10 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover DinA4 ruhige Aquarellzeichnungen |
Text/Sprache | 10 | Der kurze Text ist ruhig und unaufgeregt, trotz des doch sehr gefährlichen Traumes des kleinen Bibers. Die Sprache ist einfach und auch für Leseanfänger geeignet. |
Inhalt | 9 | Der kleine Biber Biba hat beim Spielen mit seinem Segelboot eine Flussperlmuschel entdeckt. Er ist fest davon überzeugt, dass darin eine Perle liegt, und er beginnt zu träumen, wie ihn alle um die Perle beneiden werden. Doch sein Traum verselbständigt sich. Plötzlich treiben Neid und Gier einen Keil zwischen ihn und seine Freunde und alle Tiere wollen denselben Reichtum haben, wie Biba. Auf der Suche nach Perlmuscheln zerstören sie zunächst Bibas Stausee und schließlich den Wald und sich selbst. Zum Glück wacht Biba aus dem Traum wieder auf. Und er fällt eine Entscheidung - gegen den Schatz und für seine Freunde. |
Pädagogische Themen | 10 | Freundschaft Werte Neid Gier Verzicht |
Pädagogischer Wert | 10 | Biba erkennt, dass materielle Werte zu einem Verlust innerer Werte führen können. Daraufhin verzichtet er auf den möglichen Schatz in der Muschel und erfreut sich am Spiel mit seinen Freunden. |
Schlüssigkeit/Logik | 8 | Der Waldbrand und der Tod aller ist ein bisschen zu viel Drama für ein Bilderbuch. Auch, dass Biba gar nicht erst nachsieht, ob überhaupt eine Perle in der Muschel ist, ist nicht ganz schlüssig. |
Kreativität | 10 |