„Nein, Mama, das kann ich nicht.“ Wann hat sich dieser Satz bloß in den Wortschatz meines Kindes eingeschlichen? Auch die Variationen „Ich kann das nicht alleine“ und „Nein, das geht nicht“ höre ich immer öfter, wenn ich eine Bitte oder Aufforderung ausspreche, egal, wie simpel die aufgetragene Aufgabe scheint.
Ist das dasselbe Kind, dass mit einem Jahr auf Fensterbänke kletterte, ganze Burgen aus Matratzen und Möbelstücken baut und mit anderthalb das ABC-Puzzle blind konnte? Es kann innerhalb von einer Minuten drei Schichten Kleidung an- oder ausziehen, wenn es zum Spielkumpel hinüber geht oder ich Wasser in die Badewanne einlasse.
Aber wo sind diese magischen Kräfte hin verschwunden, wenn ich es eilig hab, weil wir vor dem Kindergarten noch einkaufen müssen oder zum Arzt oder es darum geht, abends den Schlafanzug anzuziehen, weil die Bettgehzeit schon um zwei Stunden überzogen wurde? Dasselbe Kind, das problemlos im Eiltempo Hörspiel-CDs wechselt, zieht plötzlich die Stiefel wieder verkehrt herum an. Dasselbe Kind, das durch vier geschlossene Türen die Chipstüte rascheln hört, kann meinem Ruf aus nächster Nähe leider nicht Folge leisten, weil es mich nicht gehört hat?
Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass „Können“ hauptsächlich mit „Wollen“ zu tun hat. Und dabei muss ich mich auch an die eigene Nase fassen. Wenn die Lütte ihren Stuhl durch drei Zimmer bis an den Herd schleppt, weil sie beim Kochen helfen oder beim Backen Teig naschen will, dann kann sie das problemlos. Trotzdem entwischt mir auf ihre Bitte hin, dass sie die heißen Rühreier rühren will, oft ein „Lass mich das lieber machen, du kannst das machen, wenn du etwas größer/älter bist.“
Warum lass ich das Kind nicht machen? Ich weiß doch, dass es das kann oder lernen kann. Aber ich will wohl gerade nicht. Ob es darum geht, höher zu klettern, schneller zu laufen, weiter zu springen, bei komplizierten Puzzlespielen oder dem Bedienen von Elektrogeräten – immer mal wieder erwische ich mich bei den Gedanken oder gar Worten: „Dafür bist du noch zu klein.“
Der Papa ist da nicht so. Bei ihm durfte das Kind mit zwei Jahren schon den Akkuschrauber bedienen. Bei mir bekommt es nur den Spielzeugschrauber von Bosch, mit dem Hinweis, den nicht in der Nase vom kleinen Bruder auszuprobieren. Ich will mein Kind aber nicht andauernd ausbremsen in seinem Entdeckungseifer. Es soll ausprobieren, üben und wagen dürfen.
Wenn ich von meinem Kind aber einerseits erwarte, dass es beim Spaziergang läuft und sich nicht mehr tragen lässt, dass es sich selbst an- und auszieht und mit Besteck isst, dann wäre es wohl gut, wenn ich es bei allem – oder sagen wir fast allem – , was es ausprobieren will, auch ermutige.
Der Satz „Dafür bist du noch zu klein“ entwickelt schnell eine enorme Boomerangkraft, wenn man ihn zu oft benutzt. Oder, um es mit Celine Dion zu sagen: „It’s all coming back to you“. Statt Kindern zu sagen, was sie nicht können, wie es Walpurga Wespe und Bino Biene zur kleinen Hummel Bommel sagen, sollten wir sie lieber öfter ermutigen.
Wenn also mein Kind das nächste Mal den Mixer führen will, sag ich: „Nur Mut, du schaffst das schon“ – und gehe mit Pflaster und Wischlappen dicht hinter meinem Nachwuchs in Stellung.
Kurzrezension
Das Kinderbuch „Die kleine Hummel Bommel“ ist ein liebenswert geschriebenes und gezeichnetes Buch zu den Themen Mut und Selbstbewusstsein. Für Kinder jeden Alters ist es relevant, zu akzeptieren, wenn man anders ist, als die anderen. Hier geht es nicht um die Einzigartigkeit, die den einen über den anderen erhebt und zum Star macht, sondern um die kleinen Eigenheiten eines jeden, die ihn für sich und seine Freunde und Familie zu etwas ganz Besonderem machen.
Im Falle der kleinen Hummel sind es besonders kleine Flügel im Vergleich zu einem besonders kugeligen Körper. Es ist ein physikalisches Wunder, dass sie fliegen kann, und dennoch kann sie es. Doch sie traut es sich zunächst nicht zu, da sie von anderen Insektenkindern verhöhnt wird. Erst nachdem sie mit vielen anderen Insekten gesprochen hat und von der Grille ein Mutmachlied vorgesungen bekam, traut sie sich zu, das Fliegen zu versuchen. Am besten klappt das mit ihrem Freund, dem frisch entpuppten Schmetterling Ricardo.
Bommel weiß am Ende zwar immer noch nicht, warum ihre Flügel so klein sind, aber sie weiß, dass sie damit fliegen kann und schläft glücklich und geborgen bei ihrer Familie ein.
Als erstes Lehrbuch für Entomologie taugt das Buch trotz Aufzählung zahlreicher Krabbeltierchen nicht. So wird zwar der Weberknecht mit acht Beinen dargestellt, da er ja zu den Spinnentieren gehört. Das sieht in der Zeichnung auch ganz lustig aus. Doch hat der Weberknecht normalerweise gar keine Flügel. Außerdem werden bei allen Insekten im Buch die vorderen Beine als Arme dargestellt, der Weberknecht hat hier also insgesamt zehn Gliedmaßen, während Libelle, Marienkäfer & Co. nur insgesamt deren vier vorweisen, statt sechs. Man hätte vielleicht besser entweder alle Insekten einheitlich menschlich mit je einem Paar Armen und Beinen ausstatten, oder aber alle vorkommenden Tiere mit der naturgegebenen Menge an Gliedmaßen darstellen können.
Ein von Maite Kelly gesungenes Mutmachlied kann man per im Buch ablesbaren Code aus dem Internet downloaden. Ob nun der Name Kelly die Verkaufszahlen des Buches erhöht oder das Buch ein Lied von Maite Kelly bewirbt, ist hier zweitrangig. Auch die Unstimmigkeiten und Fehler bei der Darstellung der verschiedenen Insekten in Bezug auf die Anzahl der Beine ist letztlich eher ein Schönheitsfehler. Dieses Buch ist Buch der Woche, weil es mein Kind begeistert hat und ich es wohl noch sehr oft werde vorlesen müssen.
Altersempfehlung: 3-7 Jahre
Vorlesezeit: 5 Minuten
Daten zum Buch „Die kleine Hummel Bommel“
Titel: Die kleine Hummel Bommel
Autor: Britta Sabbag, Maite Kelly, Joëlle Tourlonias
Verlag: arsEdition
Jahr/Auflage: 2015
ISBN: 978-3845806372
Die kleine Hummel Bommel
Titelwahl | Bewertung (1-10) | Begründung |
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Punkte gesamt | 9 | |
Titelwahl | 10 | |
Aufmachung | 10 | Hardcover ganzseitige Illustrationen sanfte, warme Farben niedliche, sanfte Charakterzeichnungen |
Text/Sprache | 10 | Der Text ist angenehm vorzulesen und kindgerecht. Bei der Namensgebung konzentrierte man sich auf die Wirkung von Alliterationen, ausgenommen die Hauptfigur Hummel Bommel. |
Inhalt | 8 | Die kleine Hummel namens Bommel wird von Biene und Wespe ausgelacht, weil sie so kleine Flügel hat. Sie ist traurig, weil sie denkt, dass sie nicht fliegen kann. So geht sie von einem Insekt zum anderen und fragt, warum sie so kleine Flügel hat, während doch alle anderen große oder bunte Flügel haben. Die anderen wissen keine Antwort darauf, sie erklären nur, weshalb ihre eigenen Flügel so sind, wie sie sind, und das eben jeder anders ist. Die Grille schließlich, die zwar große Flügel hat, damit aber nicht fliegen kann, singt der Hummel ein Mutmachlied vor, in dem es darum geht, sich selbst so anzunehmen, wie man ist. Es heißt "Du bist Du", stammt von Maite Kelly und kann anhand eines im Buch versteckten Codes im Internet abgerufen werden. Am Ende fliegt die mutige kleine Hummel mit ihrem Schmetterlingsfreund umher und kuschelt mit ihren Eltern, die ihr zwar auch nicht erklären können, warum ihre Flügel so klein sind, aber immerhin wissen, dass diese kleinen Flügel sehr stark sind, und zwar bei allen Hummeln. |
Pädagogische Themen | 10 | Vertrauen Mut Freundschaft Familie sich annehmen, wie man ist Lehrinhalt: Insektenvielfalt |
Pädagogischer Wert | 8 | Die Idee ist ganz niedlich, aber ein wenig mehr Recherche zum Thema Insekten wäre hilfreich gewesen. Die Themen Mut und Selbstvertrauen werden hier sehr schön eingebracht. Kinder werden dazu angeregt, zu erkennen und zu akzeptieren, dass jeder andere Stärken und Schwächen hat. Und dass es meist leichter zusammen mit einem Freund geht, der dieselben Ängste hat. |
Schlüssigkeit/Logik | 7 | Die Hauptfrage, warum die Flügel der Hummel im Vergleich zu ihrem Körper so klein sind, wird eigentlich nicht beantwortet. Leider wird in diesem Buch der Weberknecht mit acht Beinen, zwei Armen und zwei Flügeln dargestellt, vermutlich, weil er mit der Schnake verwechselt wurde, die jedoch nur sechs Beine hat. Warum der Weberknecht überhaupt so viele Beine aufweist, während Fliege, Grille, Libelle und Marienkäfer sich auf zwei Beine und Arme beschränken müssen, ist unklar. Lehrreicher wäre eine korrekte Darstellung der Gliederzahl aller Insekten gewesen. Zudem sieht es beim Doktor eher aus, wie in einer Apotheke, daher einige Abzüge für die Darstellung. |
Kreativität | 10 | Die Insekten, die gemeinsam in eine Krabbelgruppe gehen, sind eine sehr putzige Idee. Einen Pastor Fliege einzubringen hat zumindest für die älteren Vorleser Witz. Insgesamt ist dies eine liebevolle und witzige Buchidee. |
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