Der Märchenschimmel

Der Märchenschimmel, Fred Rodrian, Ingeborg Meyer-Rey

Der Traum von einem eigenen Pferd ist vielen Kindern nicht fremd. Auch der kleine Junge Bom wäre gerne ein Prinz auf einem stolzen Schimmel.

Kurzrezension

Der kleine Junge traut seinen Augen kaum: Da steht doch tatsächlich sein Märchenpferd auf der anderen Straßenseite. Na gut, es ist ein Kutschpferd vom Stangeneiskutscher Karl, der in der Kneipe Bier trinkt, während das Pferd kein Wasser hat.

Kurzerhand läuft Bom hinüber und reitet mit dem Pferd los, an allen Leuten vorbei hinaus aus der Stadt bis zu einem Bächlein. Hier kann das Pferd trinken. Bom fühlt sich wie im Märchen, der Wald, die Wiesen, sein Schimmel – alles ist einfach märchenhaft.

Da ist es kein Wunder, dass der junge Reiter bald auf ein Märchenschloss trifft. Nur komisch, dass die Prinzessin behauptet, sie wäre keine Prinzessin und es gäbe auf dem Schloss auch keinen Grafen. So geht es doch nicht zu im Märchen?

Es dauert einen Augenblick, bis Bom einsieht, dass es das Märchenschloss, den Märchenschimmel und die Märchenprinzessin nur in seiner Phantasie gibt. Das Schloss hingegen ist echt, nur wohnt hier längst kein Adel mehr. Es ist ein Kinderheim geworden.

Ein Kinderheim will Bom nicht, er will weiter nach dem Märchen suchen. Doch das Kutschpferd möchte nicht weiterlaufen, es fühlt sich hier offenbar wohl. Also bleibt Bom und isst mit den Heimkindern Mittag und hält darauf ein Mittagsschläfchen.

Genosse Timm, der Heimaufseher, informiert derweil Boms Vater, den Schornsteinfeger. Und der holt seinen Sohn ab – ganz ohne zu schimpfen. Der Schimmel aber bleibt im Kinderheim, wo er alle Kinder glücklich macht.

 

Die Geschichte um den verträumten Jungen Bom stammt aus den 50ern und ist geprägt vom Sozialismus, wenn nicht gar Kommunismus. Sie ist niedlich und sehr schön illustriert, für Nicht-Kommunisten wirkt der Text aber doch ein bisschen zu „gezwungen“. Auch wenn wohl jeder es nachvollziehen kann, dass ein Schloss besser von vielen Kindern als von einzelnen Gutsherren bewohnt werden könnte, sind das „Verjagen“, also Enteignen der Reichen und das Stehlen eines Pferdes nicht die ehrenwertesten Motive –  Robin Hood zum Trotz. Märchenfans aber sehen das unkritischer und für ein Buch aus den fünfziger Jahren ist es erstaunlich, auf so verständnisvolle Erwachsene wie den Genossen Timm und den Schornsteinfeger zu treffen, die den verträumten Bom überhaupt nicht ausschimpfen.

Und Bom, der eigentlich ganz unkommunistisch gerne ein Prinz auf einem Schloss wäre, erkennt die schönen Seiten gemeinschaftlichen Zusammenlebens und teilt „seinen“ Märchenschimmel gern mit den anderen Kindern. Und Kutscher Karl? Der hat es wohl nicht anders verdient, oder?

 

Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 15-20 Minuten

Daten zum Buch „Der Märchenschimmel“

Titel: Der Märchenschimmel
Autor: Fred Rodrian, Ingeborg Meyer-Rey
Verlag: Beltz
Jahr/Auflage: 1960/2019

ISBN: 978-3407777812

Der Märchenschimmel

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt9
Titelwahl10
Aufmachung10gebunden, hochwertig, wunderschön illustriertmit dem Charme der 50er Jahre
Text/Sprache10Der Text ist ruhig und unaufgeregt, enthält das eine oder andere Wort, das aus der Entstehungszeit heraus jetzt ein wenig fremd erscheinen mag. Aber die Sprache ist dennoch verständlich.
Inhalt9Der Junge Bom sitzt am Fenster und träumt. Da geht sein Traum plötzlich in Erfüllung, denn er sieht seinen Märchenschimmel und reitet kurzentschlossen los. Er ist ein Ritter oder Prinz und auf der Suche nach einem Schloss und seiner Prinzessin. Beides findet er am Ende sogar - oder ist es doch nur ein Traum und das Märchenschloss ist gar nicht so erstrebenswert, wie ein glückliches Leben in einer Gruppe von Menschen, die alles miteinander teilen?
Pädagogische Themen10Träume
Märchen
Teilen/Schenken
Armut/Reichtum
Pädagogischer Wert8Der Hauch des kommunistischen Gedankens ist ein wenig zu aufdringlich, denn zum perfekten Wert fehlt ein wenig die Freiwilligkeit des Teilens und Schenkens der Protagonisten.
Schlüssigkeit/Logik-
Kreativität10Die Phantasie des Jungen wird sehr einfühsam beschrieben, die Zeichnungen sind voller Charme.