Mit Fremden gehen wir nicht mit!

Mit Fremden gehen wir nicht mit, Miriam Cordes, Jana Frey

Mit Fremden gehen wir nicht mit!, Miriam Cordes, Jana Frey

Das Kinderbuch „Mit Fremden gehen wir nicht mit!“ beschäftigt sich mit der Gefahr von Kindesentführung und, ohne es direkt anzusprechen, auch mit Kindesmissbrauch. Vorweg ist zu sagen: Diese Themen sind leider von dauerhafter Aktualität und daher ist es wünschenswert und notwendig, sie mit Kindern oft und auf vielfältige Weise anzusprechen. Bücher wie dieses sind also grundsätzlich eine gute und hilfreiche Angelegenheit.

Kurzrezension

Miriam Cordes und Jana Frey stellen in „Mit Fremden gehen wir nicht mit!“ im Gegensatz zu vielen Büchern dieser Art die Konstellation vor, in der zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, gemeinsam in die Gefahr geraten, entführt zu werden. Dies ist zwar seltener, dennoch ist es gut, Kinder darauf vorzubereiten, dass sie auch zu zweit oder in der Gruppe in Gefahr geraten können.

Die Zeichnungen erstrecken sich fast alle über eine Doppelseite und sind kindgerecht und authentisch. Die Geschichte ist jedoch zuweilen arg konstruiert und klischeebeladen. Es wirkt, als wollte die Autorin so viele Themen wie möglich abdecken. So ist es eine Gratwanderung zwischen Authentizität und Klischee.
Die Kinder Mia und Noah verbringen ein paar Tage bei Mias Eltern. Da sie sich langweilen, veranstalten sie zunächst einen Schreiwettbewerb. Mias Mama erklärt ihnen, dass man nur im Notfall schreien darf. Dann wollen die Kinder zum Abenteuerspielplatz, um Froscheier zu suchen. Sie gehen heimlich vom Grundstück, obwohl Mia sagt: „Das dürfen wir nicht.“ Noah ist hier die treibende Kraft, er überredet Mia.

Auf dem Spielplatz taucht dann Fred auf, der nette Mann vom Imbiss. Er bietet ihnen an, sie zu einem Ort zu fahren, an dem es Froscheier gibt. Noah möchte mitfahren, aber Mia sagt erneut „Das dürfen wir nicht.“ Und diesmal bleibt sie bei ihrem Standpunkt. Der eben noch so nette Fred ist nun böse und versucht, die Kinder gegen ihren Willen mitzunehmen. Beide Kinder bekommen Angst und werden ganz leise, bis Mia der Schreiwettbewerb wieder einfällt. Sie schreit und auch Noah macht schließlich mit. Das alarmiert den alten Nachbarn samt Hund. Als diese beiden herbeieilen, verschwindet der böse Fred. Die Kinder sind gerettet, die Polizei nimmt Fred fest und die Eltern von Mia und Noah halten ihren Kindern eine Standpauke der besonders sanften Art und loben sie, weil sie um Hilfe geschrien haben.

Mit Mia und Noah wurden Namen gewählt, die sich in den Jahren rund um das Erscheinungsjahr in den Top zehn bis zwanzig der beliebtesten Vornamen befanden. Das kann helfen, sich mit den Kindern zu identifizieren. Dass man nie unerlaubt das heimische Grundstück verlassen sollte, ist eine Moral von dieser Geschichte. Der aufmerksame Mitbürger ist in diesem Fall der ältere Herr Winter, der viel Zeit auf seinem Balkon und mit seinem Hund verbringt, sodass er die Kinder schreien hören und ihnen zu Hilfe eilen kann. Wie er es mit Spazierstock und Hund so schnell vom Balkon zum Spielplatz schafft, bleibt sein Geheimnis. Auch die Rolle des verständnisvollen Trösters kommt ihm zu. Aufmerksam zu sein, wie Herr Winter, ist die Botschaft für den Vorleser. Die Eltern übernehmen schließlich das Mahnen und Sorgen sowie die Aufstellung der Regeln. Die Polizei verhaftet den Verdächtigen umgehend. Schön, wenn das immer so einfach wäre.

Nun ist es nicht ganz schlüssig, warum Mia aus Neugier auf Froscheier und dank Noahs Überredungskunst die eine Regel bricht und sich heimlich mit Noah zum Spielplatz schleicht, bei der zweiten Regel hingegen bei ihrem „Nein, das dürfen wir nicht“ bleibt, Froscheier hin oder her. Ganz ohne zu zögern entscheidet Mia, nicht mit Fred mitzugehen, obwohl sie ihn nett findet und Noah sie zu überreden versucht. Nicht mit Fremden mitgehen, egal, was einem versprochen wird, ist die nächste Moral in dieser Erzählung.
Der böse Fred ist zwar irgendwie ein Fremder, aber einer, den die Kinder mit Namen kennen und von dem sie wissen, wo er arbeitet. Er ist also eher eine Mischung aus den Täterprofilen „böser Fremder“ und „verkappter böser Mensch aus dem eigenen Umfeld“.
Dass Mia als Mädchen einerseits die Vernünftigere und dann auch noch die Mutigere der beiden Kinder ist, ist des Feminismus ein wenig zu viel. Der Junge Noah wird hier fast schon als besonders naiv und weinerlich dargestellt, obwohl er zuvor weder Angst vor dem unerlaubten Verlassen des Grundstückes hat, noch davor, sich von Fred Froscheier zeigen zu lassen.
Als Mia „Wir wollen nach Hause“ flüstert, heißt es: „>Ja, bitte!< ruft Noah empört.“ Hier passen „bitte“ und „empört“ nicht so recht zusammen. Bei wirklicher Empörung fällt bei einem Kind, dass sich in Gefahr wägt, wohl kaum ein Höflichkeitswort. Und ob Empörung ausreicht, um die Gefühle eines Kindes in so einer Situation zu beschreiben, ist auch fraglich. Die gerufene Bitte wird zudem mit einem „Hier wird nicht geschrien“ vom bösen Fred gekontert, der dem Jungen daraufhin den Mund zuhält. Dabei hatte zu diesem Zeitpunkt ja noch keines der Kinder auch nur den Gedanken daran gehabt, zu schreien. Und da er nicht beiden Kindern gleichzeitig den Mund zu halten und sie zum Auto zerren kann, macht auch der Täter hier keine besonders überzeugende Figur.
Solche leichten Unstimmigkeiten in der Wahl der Verben und Adjektive stören den Lesefluss daher ein wenig. Insgesamt muss man aber wohlwollend die gute Absicht honorieren, die hinter dieser Geschichte steckt. Auch wenn die Verknüpfung des Ungehorsams beim Verlassen des Grundstücks mit der daraufhin drohenden Gefahr sehr nach erhobenem Zeigefinger schmeckt, ist doch die Kernlehre, die Kinder aus diesem Buch ziehen können, die erwünschte:
„Nimm deinen Mut zusammen und schreie, wenn du in Gefahr bist. Wehre dich und gehe nicht mit anderen Menschen mit, egal, was sie dir erzählen.“
In Anbetracht der Tatsache, dass man zum Schreien ein paar Hemmungen verlieren und Angstgefühle bekämpfen muss, die einem wie in Mias Fall den Hals zuschnüren können, ist ein Schreiwettbewerb eigentlich eine gute Idee. In dieser Geschichte wird darauf hingewiesen, dass man nicht ohne Grund schreien sollte, um keinen falschen Alarm zu geben. Das wäre wie bei dem berühmten Jungen, der vor dem Wolf warnt, und somit Moral Nummer – ach, was soll das Zählen. Ein wenig zu viel des Guten eben.

Aber ein Schreiwettbewerb nach Rücksprache mit allen, die diesen hören würden, wäre durchaus eine lohnenswerte Übung, um Kindern die Hemmung vor dem rettenden Hilfeschrei in der Gefahrensituation zu nehmen. Denn mal ehrlich: Kindern wird sicher öfter gesagt „Schrei nicht so laut“ denn „Schrei um dein Leben“. Doch im Notfall müssen sie genau Letzteres tun.

Altersempfehlung: 3-8 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten

Daten zum Buch „Mit Fremden gehen wir nicht mit!“

Titel: Mit Fremden gehen wir nicht mit!
Autor: Miriam Cordes, Jana Frey
Verlag: Ravensburger
Jahr/Auflage: 2008

ISBN: 978-3473323784

Mit Fremden gehen wir nicht mit!

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt9
Titelwahl10
Aufmachung10Hardcover
kindgerechte, bunte, doppelseitige Zeichnungen
Das Wort "nicht" im Titel wurde zur Betonung rot geschrieben.
Text/Sprache9Ansich ist der Text schön geschrieben worden. Wortkombinationen wie "Würstchen-Gurken-Tomaten-Käse-Spießchen", "Knitterohren", "Tilli-Willi" und "grauzotteliger Hund" sind allerdings unnötige Konstruktionen, die weder besonders typisch für Kindersprache noch für Erstleser besonders gut zu bewältigen sind. Auch "Wasser durch die Zehen rieseln" lassen ist eher untypisch, das Verb "rinnen" wäre passender gewesen.
Inhalt9Mia und Noah sind beste Freunde. Sie dürfen nun zwei ganze Tage und Nächte miteinander verbringen und machen tolle Sachen. Als sie sich einen Schreiwettbewerb überlegen, erklärt Mias Mama ihnen, dass man nur schreien sollte, wenn man wirklich in Gefahr ist. Mia und Noah begeben sich daraufhin dann auch in Gefahr, denn sie verlassen ohne Bescheid zu sagen das Grundstück und laufen zum Abenteuerspielplatz, um nach Froscheiern zu suchen. Hier werden sie von einem Mann angesprochen, den sie von der Imbissbude her kennen. Er will die beiden mitnehmen und verspricht, ihnen Froscheier zu zeigen. Noah will mitgehen, aber Mia sagt, dass sie nicht mitgehen dürfen. Der Mann packt Mia daraufhin am Arm und versucht sie und Noah gegen ihren Willen mitzunehmen. Zuerst schnürt die Angst Mia den Hals zu, doch dann denkt sie an den Schreiwettbewerb und schreit ganz laut. Dann schreit auch Noah mit und Mias alter nachbar kommt mit seinem Dackel und vertreibt den fremden Mann. Dann kommt auch Mias Mutter angelaufen, die Kinder werden getröstet und am Abend setzen sich die Eltern von Mia und Noah mit den Kindern und dem nachbarn zusammen und besprechen das Verhalten der Kinder. Sie loben die Kinder, dass sie geschrieen haben, und ermahnen sie, nicht mehr heimlich wegzulaufen.Die Polizei hat den Mann von der Imbissbude inzwischen verhaftet.
Pädagogische Themen10Gefahr
Angst
Mut
um Hilfe rufen
falscher Alarm
Weglaufen
Pädagogischer Wert9Zum Thema "nicht mit Fremden mitgehen" kann es nicht genug Bücher geben. Dieses Buch beschäftigt sich aber gleich mit mehreren aktuellen Themen: falscher Alarm, Weglaufen, mit Fremden mitgehen wollen. Das ist ambitioniert, aber auch ein wenig zuviel des Guten. Dennoch ist dieses Buch wichtig und hilfreich, um mit Kindern die Gefahren, die von vermeintlich nett wirkenden Menschen ausgehen können, zu thematisieren.
Schlüssigkeit/Logik9Dass der böse Fred zwei Kinder gleichzeitig mitziehen und einem auch noch den Mund zuhalten kann, ist nicht ganz schlüssig. Auch, dass Mia einerseits die Regeln der Eltern durchbricht, an anderer Stelle aber sofort daran denkt, sie einzuhalten, obwohl sie den "Fremden" ja sogar vom Namen her kennt, ist nicht ganz schlüssig. Die Rollenverteilung, dass der Junge das Mädchen zum Ungehorsam zweimal anstiftet, aber die so leicht zu beeinflussende Mia dann plötzlich die Standfestere und Mutigere ist, ist sehr feministisch gedacht und wohl dem Ziel geschuldet, dass ja eines der Kinder das "schwächere" geben muss und dies auf keinen Fall das Mädchen sein sollte.
Kreativität10