Gallina träumt vom Fliegen

Gallina träumt vom Fliegen, Brigitte Endres, Mele Brink

Es gibt Hühner, die nie die Sonne sehen, und deren einzige Aufgabe es ist, möglichst jeden Tag ein Ei zu legen. Sich das vor Augen zu halten, ist sehr bedrückend. Umso mutiger, ein Kinderbuch über Hühner zu machen, das genau solche Punkte mit Humor anspricht: Die Geschichte vom bunten Huhn Gallina.

Kurzrezension

Der vordere innere Einband erlaubt einen Blick in eine Brutmaschine, in der schon die ersten von vielen bunten Eiern angepickt sind. Wirft man einen Blick auf den hinteren inneren Einband, sind aus all den bunten Eiern nur weiße Hühner geschlüpft, eines gleicht dem anderen. Andersherum wäre es zwar logischer gewesen, aber das interessiert wohl nur Hühnerhalter.

Diese weißen Hühner in Bauer Reinekes Legehennenstall jedenfalls machen sich keine Gedanken darum, wo sie herkommen – und noch weniger darum, wo es für sie hingehen könnte. Sie fressen und legen und sind zufrieden, wenn das Plopp beim Eierlegen ihnen Erleichterung verschafft. Auch über die Zeit nach dem Eierlegen machen sie sich nicht viele Gedanken. Sie glauben daran, dass alles gut wird, wenn der Bauer sie holt – der Bauer, der sie alle erschaffen hat.

500 Hühner sind sie im Stall, und einzig Gallina, das bunte Huhn, macht sich Gedanken um die große weite Welt hinter dem Loch im Stallgiebel. Sie möchte hinausfliegen und diese Welt kennenlernen. Die anderen Hühner halten sie für gaga.

Als Gallinas Flugversuche immer mehr zu Unruhe im Stall führen, will der Bauer sie herausholen. Da bleibt ihr nur die Flucht. Unter den staunenden Augen der anderen Hühner fliegt Gallina also durch das Giebelloch und fliegt weiter und weiter. Bei einem Wetterhahn macht sie Rast und lässt sich von ihm die Welt erklären – zumindest den Teil der Welt, den er sehen kann.

Doch die Annäherungsversuche des Wetterhahnes reizen sie nicht, vielmehr reizt sie ein echter Hahn, den sie auf einem Misthaufen entdeckt und der so bunt ist wie sie und wundervoll kräht.Sie lässt sich von seinem Geschmeichel einlullen. Bei ihm und den anderen Hennen vom Hühnerhof ist es schön, hier kann man es sich auch als buntes Huhn gutgehen lassen.

Aber dann packt Gallina wieder das Fernweh. Ist das Picken und Scharren auf dem Hof wirklich schon alles, was diese Welt einem Huhn zu bieten hat? Gibt es in der Ferne nicht noch viel mehr zu sehen? Der bunte Hahn wird sauer bei diesen Fragen. Der Hühnerhof ist für ihn die ganze Welt, mehr gibt es nicht, meint er. Gallina aber schwingt sich erneut auf, verlässt das angenehme Hühnerhofleben und fliegt hinaus, um die Welt zu erkunden.

 

Ist es ihr Name, der Gallina den Entdeckerdrang und die Wissbegier eines Galilei verleiht? Oder ist es ihr buntes Gefieder, das sie ohnehin immer schon anders hat sein lassen, als die anderen? Was es auch ist, Gallinas Sehnsucht nach Antworten ist groß – größer, als die Bequemlichkeit. Die Legehennen bei Bauer Reineke wissen es nicht besser und haben sich eingerichtet in ihrem Schicksal. Die Hennen vom Hühnerhof sind noch nicht so abgestumpft – sie sind sind für Gallinas Idee von einer größeren Welt zu begeistern.

Der bunte Hahn, der zwar von Gallinas Flugvermögen und buntem Gefieder angetan ist, ist leider nicht so weltoffen, wie erhofft, und zu sehr in seinem gewohnten Hühnerhoftrott gefangen, als dass er zulassen würde, dass seine Hennen dem Freiheitsdrang des bunten Huhnes folgen könnten. Er scheint ähnlich begrenzt, wie der Wetterhahn auf dem Kirchturm – mehr noch, denn er schränkt den Freigeist der Hennen ein. An dieser Stelle wirkt das Buch ein bisschen zu feministisch angehaucht, aber sei’s drum. Gallina lässt sich nicht aufhalten und fliegt.

Welches Leben einem blüht, wenn man seine Gedanken und Träume innerhalb der Grenzen eines Legehennenstalles oder Hühnerhofes lässt, liegt wohl auf der Hand. Nur wer das Vertraute aufgibt und zurücklässt, kann neue Welten für sich entdecken. Wenn da nur nicht immer so viele Zweifler wären, die gegenan reden.

Doch wenn ein buntes Huhn den Mut hat, seinen Träumen zu folgen, dann können das kleine Leser sicher auch. Und auch wenn man nicht weiß, was am Ende aus dem Entdeckerhuhn wird, springen Mut und Erwartungsfreude über.

Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Vorlesezeit: 6-8 Minuten

Daten zum Buch „Gallina träumt vom Fliegen“

Titel: Gallina träumt vom Fliegen
Autor: Brigitte Endres, Mele Brink
Verlag: Edition Pastorplatz
Jahr/Auflage: 2020/1.

ISBN: 978-3943833409

Gallina träumt vom Fliegen

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt9
Titelwahl10
Aufmachung10gebunden, einfache bunte, lustige Bilder, nicht zu überladen, der Focus liegt auf dem bunten Huhn
Text/Sprache8Gallinas Zweifel werden farblich vom Text abgehoben. Das gelegentliche Stottern "g-g-g" ist nicht sehr schlüssig in den Text eingebunden, mal stottern Gallina und die anderen Hühner, dann wieder bringen sie aalglatte Sätze heraus. Das stört unnötig beim Vorlesen, ohne die Geschichte voranzubringen.
Inhalt10Gallina ist anders, als die anderen. Deshalb ist ihr die Welt im Legehennenstall auch nicht genug, ebensowenig, wie die Welt auf dem Hühnerhof. Sie will mehr von der Welt sehen.
Pädagogische Themen10Mut
Entdeckerdrang
anders sein
Pädagogischer Wert9Gallinas Entdeckerfreude und Mut, ihren Traum zu verwirklichen sind natürlich vorbildlich. Das Geplänkel der Hähne, die beide als etwas dümmlich und begrenzt hingestellt werden, ist dagegen etwas over the top - die Rollenbilder kann man ruhig über das gockelhafte hinaus zeichnen, ohne dabei den Mut und das Besondere des bunten Huhnes zu schmälern.
Schlüssigkeit/Logik-
Kreativität10