Der Regenbogenfisch

Der Regenbogenfisch_Marcus Pfister

Der Regenbogenfisch, Marcus Pfister

„Wer teilt hat mehr vom Leben“ – so könnte man die Botschaft des Bilderbuchs „Der Regenbogenfisch“ zusammenfassen. Das wäre jedoch etwas kurz gedacht, denn trotz der Kürze der Geschichte berührt sie doch eine ganze Menge verschiedener pädagogischer Themenfelder – und bleibt dabei kurzweilig und anrührend.

Wenn man ein Buch, das man getrost schon als Klassiker bezeichnen darf, aus der Bücherei mitnimmt, ist es schwierig, wertungsfrei an die Rezension zu gehen. Dann ist es hilfreich, sich am Urteil eines Mitglieds der Zielgruppe zu orientieren.

Nun erwies es sich für mich jedoch als langwierig und schwierig, dieses Urteil zu erhalten. Denn so begeistert mein Kind das Buch mit dem buntglitzernden Fisch auf dem blauen Cover aus der Bücherkiste der örtlichen Stadtbibliothek zog und mit nach Hause nahm, so desinteressiert verhielt es sich dann in den vergangenen Wochen diesem Klassiker gegenüber.
„Sollen wir heute mal den Regenbogenfisch lesen?“, fragte ich ein ums andere Mal, und erntete immer nur ein: „Nein, lieber morgen, heute will ich das hier.“

„Welches Buch soll ich heute vorlesen?“ – „Heute will ich – nicht den Regenbogenfisch, sondern das hier.“ Ein Buch nach dem anderen wurde mir unter die Nase gehalten, der glitzernde Meeresbewohner war nie dabei.
Natürlich hätte ich das Buch freilich auch ohne mein Kind lesen können, um die Rezension zu schreiben. Aber ich wollte mir die Chance auf die kindliche Objektivität nicht nehmen. Und so kam es, wie es kommen musste: Kurz bevor wir dieses Buch wieder abgeben mussten, überredete ich mein Kind, es mich nun endlich als Gutenachtgeschichte vorlesen zu lassen.

 

Kurzrezension
Ein wunderschön glitzernder Fisch wird im Ozean von den anderen Fischen bewundert. Sie rufen ihm zu „Komm, spiel mit uns“, doch der Regenbogenfisch ist zu hochmütig und schwimmt nur wortlos vorüber. Er genießt die Aufmerksamkeit, die ihm seine Schönheit einbringt.
Als ein kleiner unscheinbarer Fisch ihn um eine seiner Glitzerschuppen bittet, weist er ihn grob ab. Er will seine Schönheit ganz für sich behalten. Nun aber wenden sich alle Fische vom Regenbogenfisch ab. Er fühlt sich plötzlich sehr einsam und versteht die Welt nicht mehr. Ein weiser Oktopus gibt ihm den Rat, den anderen Fischen jeweils eine Schuppe zu schenken. Dieser Rat gefällt dem Regenbogenfisch überhaupt nicht. Er kann sich nicht vorstellen, ohne seine Schönheit glücklich zu sein.
Wieder kommt der zuvor abgewiesene kleine Fisch zu ihm und bittet ihn erneut um eine Glitzerschuppe. Zögernd gibt der Regenbogenfisch schließlich, worum er gebeten wird. Doch statt eines Verlustgefühls fühlt er etwas seltsam Anderes, als er dem überglücklichen kleinen Fisch nachsieht. Schon bald kommen auch die anderen Fische und wollen ein Stück von dem Glitzerkleid abhaben.

Nach und nach verteilt der Regenbogenfisch fast alle seine Schuppen. Um ihn herum glitzert jetzt alles und das macht ihm Freude. Er fühlt sich wohl unter den anderen Fischen, auch wenn er jetzt nur noch einer von vielen ist, ein Fisch mit einer einzigen Glitzerschuppe.
„Jetzt glitzern alle Fische“, resümiert mein Kind zufrieden. Die Geschichte hat ihr gefallen. Vom Hocker gerissen hat sie sie aber offensichtlich nicht, denn sie hält mir gleich ein zweites Buch unter die Nase, welches sie eigentlich hören wollte.
Was mach ich nun mit diesem Urteil? Mich selbst befielen beim Lesen gute wie schlechte Gefühle. Hochmut führt zu Einsamkeit, klare Botschaft. Aber sind die anderen Fische nicht mit Schuld am Hochmut des Regenbogenfisches? Immerhin lässt ihre Bewunderung ihn erst so arrogant werden. Teilen macht Freude und das Glück der anderen zu sehen macht den Regenbogenfisch glücklich. Eine schöne Botschaft. Aber kann man Freundschaft wirklich so leicht erkaufen? Wie oberflächlich und neidisch sind diese anderen Fische, wenn sie unbedingt alle etwas von dem Starglanz abhaben wollen?
Unwillkürlich muss ich an die Horden von Fans und Groupies denken, die einen Großteil ihres Lebens vor Hotels und Konzerthallen verbringen, um einen Blick auf einen Star zu werfen oder mit Selfies ein bisschen Starglanz in ihr eigenes Leben bringen wollen. Oder an die unzähligen Kinder und Teenager, die alljährlich den Castingaufrufen diverser Fernsehsender folgen, in der Hoffnung, etwas Besonderes zu sein oder zu werden. Der Drang, nicht zu sein wie alle anderen, hält sich die Waage mit dem Grundbedürfnis, dazuzugehören, dieselbe Markenkleidung zu tragen wie die anderen oder dieselben Handys zu besitzen.
Am Ende der Geschichte haben alle Fische eine Glitzerschuppe. Alle sind gleich. Ist das nicht irgendwie auch ein Angriff auf Individualität?
„Sowohl als auch“ kommt wohl der Wahrheit am nächsten. Gesellschaftskritisch gesehen kann man beides monieren – zu viel wie zu wenig Individualität. Gleichmacherei ist genauso unnütz, wie Egozentrik. Und so kommt es vielleicht weniger darauf an, wem am Ende etwas fehlt, als darauf, was alle trotz ihrer Verschiedenheit gemeinsam haben.
Die vielen teilweise extremen Interpretationsmöglichkeiten, die „Der Regenbogenfisch“ in der Kürze seines Textes bietet, sehe ich als Chance. Je nach Alter und Verständnis des Kindes kann man hier ganz zwanglos Verhaltensweisen hinterfragen und über Werte wie Freundschaft und Großzügigkeit sprechen oder vor Hochmut, falschem Schein und Neid warnen.

„Ich bin doch schön. Warum mag mich denn niemand?“ – Diese hilflose Frage des einsamen Regenbogenfisches möchte ich in Zeiten von Beauty-Ops und Schlankheitswahn als einen Schlüsselsatz sehen, durch den das Buch nicht nur für Kindergartenkinder, sondern durchaus auch für Leseanfänger in Grundschulen Relevanz zeigt.

Daher von dieser Seite aus eine klare Empfehlung, sich mit der Geschichte von Marcus Pfister selbst auseinanderzusetzen, statt positiver oder negativer Kritiken, die sich im Netz zuhauf finden, blind zu folgen.

Altersempfehlung: 4-7 Jahre
Vorlesezeit: 5-6 Minuten

Daten zum Buch „Der Regenbogenfisch“

Titel: Der Regenbogenfisch
Autor: Marcus Pfister
Verlag: NordSüd
Jahr/Auflage: 2011 / 29.

ISBN: 978-3314005817

Der Regenbogenfisch

TitelwahlBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung10Hardcover
DinA4
sehr ansprechende Farben und kindgerechte Zeichnungen
Special Effect durch die Glitzerfolie
Text/Sprache10Der Text ist kurz und einfach und auch für Leseanfänger gut zu bewältigen.
Inhalt9Im Ozean schwimmt ein besonderer Fisch. Der ist so schön und glitzert in vielen Farben, dass alle ihn bewundern und Regenbogenfisch nennen. Der Regenbogenfisch genießt die Aufmerksamkeit und ist stolz auf sein Aussehen. Er spielt nicht mit den anderen Fischen, er präsentiert sich ihnen nur. Doch als ihn ein kleiner blauer Fisch um eine Glitzerschuppe bittet, mag er keine abgeben. Die anderen Fische mögen ihn deshalb nicht mehr und meiden ihn. Der Regenbogenfisch ist nun sehr einsam und erkennt, dass Schönheit nicht alles ist. Als er anfängt, seine Schönheit mit den anderen Fischen zu teilen, gewinnt er viele Freunde.
Pädagogische Themen10Verehrung
Stolz
Hochmut
Einsamkeit
Geiz
Großzügigkeit
Teilen
Freundschaft
Geselligkeit
Pädagogischer Wert9Freude am Teilen und Schenken wird hier ebenso deutlich, wie die Einsamkeit, die durch Hochmut entsteht. Außen vor bleibt jedoch jegliche Kritik am "Starrummel" um den schönen Fisch und daran, dass alle Fische etwas von seiner Schönheit abhaben wollen. Der Lerneffekt beim Regenbogenfisch steht im Vordergrund, obwohl die anderen Fische durchaus auch zu belehren gewesen wären.
Schlüssigkeit/Logik-
Kreativität9Die Geschichte ist durch ihre Kürze fast ein wenig zu simpel in der Handlung.