Daniel und der Maler

Daniel und der Maler, Wera und Claus Küchenmeister, Erich Gürtzig

Mein Kind hat gerade Filzstiftverbot. Es hat wiederholt die Kleidung und Haut des kleinen Geschwisterkindes angemalt. Alles Reden und Erklären, Schimpfen und Verbieten half nichts. Schließlich habe ich die Filzstifte weggestellt. Doch dann fand mein Kind einen roten Filzstift, irgendwo unter einem Tisch oder in einer Sofaritze. Und jetzt hat die Puppe die Masern.

Nicht nur die Große malt gerne auf eigenen Wegen. Auch Junior verlässt zuweilen den Bogen Zeichenpapier, malt in Bücher und an Wände. Von der frisch verputzten und gestrichenen Badezimmeraußenwand lachen mich vier hässliche graue Kreuze hämisch an und gerade erst versuchte ich, das Edding-Spinnennetz unter der Garderobe zu überstreichen.

„Warum? Warum macht ihr soetwas?“ Diese Frage stellen wir immer und immer wieder. Vergebens. Wir erhalten keine zufriedenstellende Antwort. Ich wüsste ehrlich gesagt auch gar nicht, welche Antwort es hierauf geben könnte, die wirklich zufriedenstellen könnte.

Meine Kinder malen gerne. Und ich finde es gut, dass sie gerne malen. Ich unterstütze sie darin. Ich stelle ihnen Stifte, Tusche und Farbe zur Verfügung: Fingerfarbe, Acrylfarbe, Textilfarbe, Buntstifte, Filzstifte, Wachsmalstifte und Tattoostifte. Ich lasse sie auf Holzstücke malen und kaufe billige Kissen, deren Schwarzweißmuster sie ausmalen dürfen. Wir hängen viele ihre Bilder in der Küche auf und ihre Bastelarbeiten zieren den Weihnachtsbaum. Im Sommer verbrauchen wir zig Pakete mit Straßenkreide und der Adventswichtel durfte heimlich eine Maltafel unter unsere Gästetafel hängen, auf der die Kinder sozusagen direkt an die Wand malen dürfen.

 

Ich mache doch wirklich alles, um dem Bedürfnis meiner Kinder nach kreativer Entfaltung in Sachen Malerei zu entsprechen. Denke ich. Ich zahle sogar einen Malkurs in der Schule. Wir hatten schon ein Obergeschossstifteverbot, da wir dieses gerade frisch renoviert hatten. Natürlich wurde sich nicht daran gehalten. Die Stifte wurden heimlich nach oben geschmuggelt.

Und dennoch – obwohl ich weiß, wie wirkungslos Verbote zuweilen sind – wusste ich mir zuletzt keinen Rat und sprach ein generelles zweiwöchiges Filzstiftverbot aus. Und nur wenige Stunden später zeigt mir die sechsjährige Chefärztin ihr maserkrankes Puppenkind. In dieser Situation hole ich nun das Kinderbuch „Daniel und der Maler“ hervor – und sehe in einen Spiegel.

Kurzrezension

Daniel malt gerne. Und die Erwachsenen freuen sich über seine Bildgeschenke. Doch obwohl ihm viel Papier und eine Maltafel zur Verfügung stehen, hat Daniel den dringenden Wunsch, woanders zu malen. Erst ist es das Schreibheft seiner Schwester, dann die Zimmerwand.

Daniels Mutter ist entsetzt und enttäuscht und nimmt ihrem Sohn den Farbkasten weg. Daniel aber kann nicht anders: Er möchte weitermalen, am liebsten an eine Wand. Da fällt ihm seine Kreide ein. Er holt sie und beginnt, im Hausflur Kreidestriche an die Wand zu malen. Doch die Flurwand scheint nicht die richtige Wand für ihn zu sein.

So läuft er hinaus in die Stadt, um sich eine passende Wand zu suchen. Sein Blick fällt auf Asters Kiosk. Aster ist nett, sie beschäftigt sich gerne mit Kindern. Sicher weiß Aster, an welche Wand Daniel malen könnte.

Doch sogar Aster hat kein Verständnis für Daniels Wunsch. „Mit diesen Kreiden willst du die Wände bemalen? Unsere schönen, sauberen Häuserwände?“, fragt sie. Daniel ist enttäuscht. Er fühlt sich unverstanden, ausgerechnet von Aster, die ihn sonst immer versteht und freundlich ist. Missmutig läuft er um den Kiosk herum. Und dort drückt Daniel seinen ganzen Missmut in einer hässlichen grünen Fratze aus.

Doch am Abend bekommt er ein schlechtes Gewissen. Er sorgt sich, dass Aster sich erschrecken wird, wenn sie die Fratze an ihrem Kiosk sieht. Als Daniel am nächsten Tag zum Kiosk läuft, ist dieser geschlossen. Daniels Schuldgefühle werden immer drückender. Da begegnet ihm der Maler. Und der erkennt sogleich, dass es wohl Daniel war, der die Kioskwand verschandelt hat.

Doch der Maler schimpft nicht. Er gibt Daniel einen Farbtopf und einen Pinsel. Und nun darf Daniel Wände bemalen. Den ganzen Kiosk malen er und der Maler frisch und bunt an. Daniel schaut auf die Stelle, an der die grüne Fratze war. Weil er aber alles dafür getan hat, dass diese hässliche Fratze wieder verschwindet, erklärt der Maler ihm, dass sie sie nun auch ruhig vergessen können.

 

Erwachsene und Kinder verstehen sich manchmal einfach nicht. Kinder machen Dinge, die uns enttäuschen oder gar erzürnen. Aber auch wir Erwachsene machen und sagen Dinge, die unsere Kinder enttäuschen, verletzen und erzürnen. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, wie damit umgegangen wird.

Es ist sicher in Ordnung, dem Kind Grenzen zu setzen, weil uns Erwachsenen unsere Wände so gefallen, wie wir sie gestrichen haben: Einfarbig. Es ist wohl in Ordnung, wenn auch bedrückend, wenn das Kind ein schlechtes Gewissen bekommt, weil es den Wunsch der Erwachsenen ignoriert und dennoch Wände angemalt hat. Daniel merkt selbst, dass es nicht richtig war, Asters Kiosk zu beschmieren, und fühlt sich schrecklich. Er ergreift die Chance, es wiedergutzumachen und die hässliche Fratze verschwinden zu lassen. Nach Einsicht und Wiedergutmachung aber ist es dann wirklich an den Erwachsenen, die Sache wieder zu vergessen.

 

Das Kinderbuch „Daniel und der Maler“ stellt mich vor eine große Herausforderung. Denn es spiegelt nicht nur das nicht zu verstehende Verhalten meiner Kinder, sondern auch das sich nicht gut anfühlende Verhalten von uns als Eltern wieder, wenn wir Grenzen setzen, die für unsere Kinder unverständlich und enttäuschend sind.

Der Ausweg, den das Buch bietet, ist keine Lösung, die überall und jederzeit funktioniert – nicht jeder kann mal eben wie Aster ihren Kiosk neu streichen lassen und das Kind miteinbeziehen. Wiedergutmachung kostet zuweilen Geld. Aber das Buch spricht einen Appell aus an das gegenseitige Verständnis. Es ist ein Aufruf, gemeinsam mit dem Kind nach einer Lösung zu suchen. Und weil es so wirklichkeitsnah ist, ist es unser erstes Buch der Woche 2019.

Altersempfehlung: 5-7 Jahre
Vorlesezeit: 10 Minuten

Daten zum Buch „Daniel und der Maler“

Titel: Daniel und der Maler
Autor: Wera und Claus Küchenmeister, Erich Gürtzig
Verlag: Beltz
Jahr/Auflage: 2018

ISBN: 978-3407772268

Daniel und der Maler

KriteriumBewertung (1-10)Begründung
Punkte gesamt10
Titelwahl10
Aufmachung9Gebunden, die Figuren sind ungewöhnlich gemalt, wirken teilweise wie getuscht, was zum Thema passt. Die Gesichter sind teilweise aber nicht sehr sympathisch getroffen, was aber ebenso wie der gesamte Zeichenstil Geschmackssache ist.
Text/Sprache10Der Text ist kurz und die Sprache verständlich. Der Erzähler ergreift nict Partei, sondern lässt Verständnis für alle Figuren entstehen.
Inhalt10Danielmöchte malen - nicht nur auf Papier, auch an Wände. Die Erwachsenen haben dafür kein Verständnis. Daniel drückt seinen Missmut an Asters Kiosk aus. Doch dann hat er ein schlechtes Gewissen. Zum Glück kann er es wiedergutmachen.
Pädagogische Themen10Verständnis
Verbote
Grenzen
Wiedergutmachung
Schuldgefühle
Gewissen
Kreativität
Pädagogischer Wert10Das Buch wirbt für Verständnis - für Erwachsene, die nicht aus ihrer Haut können und Kinder, die ihre Ideen ausleben wollen.
Schlüssigkeit/Logik10
Kreativität10